Nimm, o geliebtester Freund, mein Lied von dem ersten der Menschen,
Nimm, als Weihegeschenk, freundlichen Herzens ihn an!
Längst in der Brust mir lebt‘ es und klang’s mit vernehmlichen Tönen;
Und dir war es geweiht, eh‘ es gesungen noch war.
Denke der herrlichen Nacht von dem einen Jahrhundert zum andern,
Wo, bei der Glocken Geläut, fröhlich der Becher zerbrach!
Da schon hing ich an dir; hoch ehrt ich Uranias Sänger,
Freute voraus mich schon deines gewissen Triumphs.
Da in der Brust schon klang es in mir mit begeisterten Tönen,
10 Dies mein Lied, und es war dir in der Stille geweiht.
Doch dein heiliges Lied, es durchdrang so gewaltig das Herz mir,
Dass unheiliger Art meines alsbald mir erschien.
Drum in der Brust still hielt ich zurück die verschüchterten Töne,
Und sang, scherzend und ernst, andere Lieder seitdem.
Viel unterdessen erlebte die Welt! Es gestaltete vieles
Anders, gewaltiger sich, als es der Klügste gedacht!
Viel auch gab das Geschick uns fröhliche, traurige Stunden,
Deren Erinnerung nie stirbt in der fühlenden Brust.
Still an der winkligen Stadt hier fließet die Saale vorüber,
20 Doch manch frohes Gesicht spiegelt die Welle zurück.
Denk‘ ich zurück an die Freude, den Scherz in dem traulichen Kreise,
Der uns lange vereint, klopfet mir höher das Herz.
Wie war bieder der Freund, frohsinnig die redliche Freundin!
Kinder, in kindlicher Lust, lachten und kos’ten um uns!
Alles vereinete sich, zu bekränzen mit Rosen die Horen,
Und der erheiterte Sinn neigte zum Herzen das Herz.
Froh hinschaueten wir auf des Zeitgeists würdiges Streben,
Lachten der Afterkritik, lachten der modischen Kunst.
Mir an dem Ufer der Spree warst du der ästhetische Führer!
30 Herrliches – närrisches auch – gab es zu hören, zu sehn!
Fröhlich entführten wir dich bis hin an das Ufer der Oker,
Wo, treulos, der Gefährt‘ ohne den Mantel entfloh!
Her von dem Arno flog dein scherzender Strauß an die Saale,
Und der erwidernde Scherz folgte zur Tiber dir nach.
Drauf der bezaubernde Reiz in dem Feen-Palast Dorotheas,
Welchen die Grazien selbst hatten zum Tempel geweiht!
Endlich Elisas gastliches Haus am Gestade der Elbe,
Wo den erfreulichsten Bund schlossen das Herz und der Geist!
Oft wallfahret‘ ich hin! Mein heiliges Haus zu Loretto
40 Ist es geworden, und stets hat es den Wandrer beglückt!
So, vielfarbiger Art, uns blüheten Blumen der Freude!
Laut hier dank ich dafür meinem erwünschten Geschick!
Doch nicht mangelten auch der Zypresse betrübende Kränze,
Und viel häusliches Glück schwand mit dem Frieden der Welt!
Mir in dem Arm aushauchte den Geist die geliebte Louise,
Die, voll kindlicher Lust, eben mit dir noch gescherzt!
Nahe von mir – ein Blitz aus dem heitersten Himmel! – erfasste,
Bleichen Gesichts, der Tod plötzlich den biederen Freund!
Ach, da trauretest du mit den Traurenden, treuesten Herzens!
50 Dein teilnehmender Schmerz hob die Gebeugten empor.
Mitten im Krieges-Gewühl dicht standen wir Freunde zusammen,
Teilend Gefahren und Not, tröstlich Elisa dabei.
Als des Eroberers Schwert tief beugte die Völker, die Fürsten,
Teilten wir treulich den Schmerz, einer dem andern zum Trost!
Dann, als rächend der Tag des Gerichts den Verwüster ereilte,
Deutschland, kräftigen Arms, endlich die Ketten zerbrach:
Laut zujauchzte der eine die Wonne des Herzens dem andern,
Und teilnehmend, erhob einer dem andern das Herz.
So vom Geschick uns beiden die Bahnen des Lebens verschlungen,
60 Ward mir immer mit dir lieber und lieber der Bund.
Mehr als den Sänger in dir noch lernet‘ ich lieben den Menschen,
Lieben den trefflichen Freund, hoch in der Treue bewährt.
Gehet, im Laufe der Zeit, ein Freund nach dem andern von dannen:
Schließet sich fester das Herz an den Gebliebenen an.
Deckt erst Silber das Haupt: wird Gold die bewährete Freundschaft,
Enger und enger der Kreis: steiget an Werte der Freund.
Rückt man tiefer hinein in den Herbst des verdüsterten Lebens:
Schaut man sinnend zurück auf den entschwundenen Lenz.
Wie sich die Bien‘ in dem Stock noch labt an dem Honig des Lenzes,
70 Labet sich oft mein Herz, schauend ins Leben zurück.
Hell, im verklärenden Glanz holdlächelnder Jugend, erscheinet
Manche geliebte Gestalt oft mir im wachenden Traum!
Die mich frühe geliebt, die frühe der Tod mir entrissen,
Schweben, im Heiligenschein, hin durch das Dunkel der Nacht!
Still zu dem Himmel empor dann heben sich sehnende Blicke,
Und das erschütterte Herz fühlt sich dem Himmel verwandt!
Jüngst so saß ich und träumt‘ in betrübte Gedanken verloren,
Horch! da klang es in mir plötzlich wie Ruf zu Gesang!
Hell in dem Geist auflebten aufs neu die Gebilde, die Töne,
80 Die, von der Urwelt her, schwebten und klangen in mir.
Doch viel ernster, als sonst, jetzt waren die Töne geworden,
Wie sich tiefer der Ton stimmt in der alternden Brust.
Öfter gemahnt an die Nähe des Ziels, das hier mir beschieden,
Schaut‘ ich, ernsteren Blicks, hin auf die Wunder der Welt.
Rasch da nahm ich herab von der Wand die befreundete Leier,
Griff in die Saiten, und sang, zahlend veraltete Schuld.
Hab‘ ich zu spät es getan, mit gelähmten Flügeln des Geistes:
Mögen die Musen es mir, mög‘ es Apoll mir verzeihn!
War es doch oft, als wollte der Tod mir die Leier entreißen;
90 Doch, still hoffenden Blicks, hielt ich die tönende fest.
Ob mich Moses, Homer, Göttinnen und Götter verklagen,
Werd‘ ich hören, gefasst, komm‘ ich zum Orkus hinab!
Frei hin flattert das Lied, ein Schmetterling, welcher der Gärten
Mehr, als einen, durchirrt, immer von Blumen verlockt.
Gönnt mir der Kritikus nicht solch freies, poetisches Walten
Fern in der Urwelt Raum: sprech‘ er den richtenden Spruch!
Du nur, Teurer, verschmähe mir nicht den geweiheten Denkstein!
Ist er gering auch: steht, klar doch, „Ich liebe dich“ drauf.
Zeugnis geb‘ er von uns noch manchem befreundeten Herzen,
100 Decket die Erde dereinst unsern entseeleten Staub!
Eberhard.