Erster Gesang

Schau, Likoris! wie schon im Purpurschimmer die Sonne
Näher dem Schoße des Meeres sich neiget, glänzender kräuseln
Steigende Wellen sich dort am Felsengestade des Eilands!
Säumen lass‘ uns nicht länger darum, die Krüg‘ an des Tales
Strömenden Brunnen zu füllen; vielleicht schon harren der Kindheit
Traute Gespielinnen dort, im dämmernden Schatten versammelt,
Zum gewohnten Gespräch, die gern es mit Frag‘ und Erzählung
Oft verlängern, ich meine, sie halten auch heute zurück uns,
Bis die schweigende Nacht auf tauigten Flügeln herabsinkt.
10 Also sprach, holdlächelnd, zur Schwester die schöne Simaitha,
Sie, die Erstgebor’ne, der Liebling des alternden Vaters;
Denn ein jugendlich Bild der frühbetrauerten Gattin,
Welche der Tod ihm entriss, war jetzt die treffliche Jungfrau,
Ernst wie die Mutter und sanft, gleich ihr die Stütze des Hauses.
Dieser bereitet‘ auf Morgen das fröhliche Fest Hymenaios,
Sie zu verbinden dem Jüngling, dem blühenden, welcher sie jüngst erst
Sah und liebend erkor, dem gelbgelockten Diokles.
Und leichtschwebenden Fußes der Schwell‘ enteilend, erwidert‘
Ihr Likoris darauf, das rosenwangige Mägdlein:
20 Schwester, ich folge dir gern, wie stets ist dein Wille der beste!
Dort in der Laube, die rings das lieblich duftende Geisblatt
Hochaufrankend umblüht, mit schattendem Laube der Weinstock,
Steh’n die gehenkelten Krüge; da traf ich am Morgen Diokles.
Blumen hatt‘ ich begossen und viele brechend gesammelt,
Dir zu flechten den Kranz, noch schmückt er heiter die Stirn dir.
Ordnend wählte Diokles, er saß mir zur Seite, die schönsten
Selbst aus dem Körbchen für dich, und dort vergaß ich die Krüge.
Also Likoris! Und still durchwandelten nebeneinander
Beide Schwestern den Pfad, den sanftgekrümmten; doch bald schon
30 Unterbrach das Schweigen die Jüngere, sagte zur Schwester:
Traun! Du ahndest mit Recht, dass heute dir, wo du zuletzt noch
Unser’m Kreise gehörst, verzögert werde die Rückkehr.
Doch nicht Fragen allein, auch rührende Worte der Freundschaft
Halten schmeichelnd dich fest, denn nicht gewöhnliche Neigung
Fesselt die Mädchen an dich. Nie reizte zum Neid sie die Schönheit,
Welche vor allen dich schmückt: des Geistes reifere Bildung
Ehren sie gern in dir; ja, aller Vertrauen gewannst du,
Als dein eigens stets bewahrend jeder Geheimnis,
Dir im geschwätzigen Drang des Unmuts oder der Freude
40 Von den Gespielen enthüllt, schon manche freute sich dankbar
Deines sinnigen Rates, dies weiß ich, die ihn befolgte.
Auch herrscht lieblicher Friede durch dich im Kreise der Jungfraun.
Denn, den störenden Streit abwendend, nahest du jeder,
Die zuweilen gekränkt sich wähnt im muntern Gespräche,
Und besänftigest leicht ihr rasches Zürnen; den ander’n
Wehrest du liebreich dann, mit ernstem Worte; sie senken
Still beschämt den Blick, vermeiden dein leuchtendes Auge.
So auch scheu‘ ich es selbst! Des Vaters heftiges Schelten
Trifft nicht inniger mich als deine sanftere Warnung.
50 Doch liebkosend zu ihr geneigt versetzte Simaitha:
Süße Worte, Likoris, wie froh willkommene, sprachst du!
Denn so teuer und wert die Liebe holder Gespielen
Meinem Herzen auch ist, so bleibt die Neigung der Schwester
Mir vor allen doch wert, einst von der sterbenden Mutter
Meiner Sorge vertraut. Ach! Damals wusstest du kaum noch,
Schwach, mit kindischer Hand, die entfliehende Spule zu drehen.
Liebend zog sie uns hin aufs traurige Lager, um beide
Schlang sie den zitternden Arm, ich hob in den meinen empor dich,
Dass sie dir küsste die Stirn, und heiße Tränen benetzten
60 Die hochklopfende Brust, der Töchter Wangen entströmend.
Leis vermochte sie da, mit schwankender Stimme, die Worte
Nur zu sprechen, sie grub im Busen tiefer den Schmerz mir:
„O Simaitha! Du weißt’s, zur Magd bestimmt die Gewohnheit
Dir dies verwaisete Kind, doch lass es dir Schwester auch bleiben!“
Ja, du hast sie erfüllt, die sorgende Bitte der Guten!
Rief mit tränendem Blick, geschmiegt an den Busen der Schwester,
Nun Likoris bewegt: Noch war dem kindischen Sinne
Unverständlich ein Wort, das jetzt bedeutend und heilig
Meinem Geiste sich zeigt. So waltet ein himmlischer Ratschluss,
70 Unser’n Blicken verhüllt, im Stillen über das Leben.
Ja, du er schienest als Mutter der Frühverwaisten, als Freundin!
Liebe lehrte mich nur und Güte den heiter’n Gehorsam,
Und vor vielen bei uns bin ich allein die Beglückte.
Denn wie grausam übt die ältere Schwester ihr Vorrecht
An der jünger’n hier! Mit stolzerem Sinne, nach Willkür
Sind zu handeln gewohnt die erstgebor’nen Jungfrau’n,
Nicht durch die Sitten verwandt den übrigen Töchtern der Griechen.
Wie unwissend bis jetzt, verglich ich dem heimischen Eiland
Auch die übrige Welt! Die vielverschiedene wähnt‘ ich,
80 Dumpf, in kindischem Sinn, von jenem Gesetze beherrschet,
Welches auf Lesbos allein der älteren Tochter das Erbe
Gönnt, zur dienenden ihr die jüng’re bestimmt, die niemals
Hymens Fackel erblickt, von liebender Mutter entzündet.
Auch dem Bruder versagt Besitztum diese Gewohnheit,
Der dem Meere dann oft, dem falschen, kühn sich vertrauet,
Aufzusuchen das Glück im handeltreibenden Ausland.
Mildere Sitte regieret, so rühmt‘ es jüngst uns ein Fremdling,
Überall und verteilt des Lebens heitere Güter
Gleich, wie sie mütterlich auch Natur auf die Kinder verbreitet.
90 Sag‘! Was verwandelte hier allein nur der lächelnden Kindheit
Erstes, liebliches Band in Fesseln trauriger Knechtschaft?
Und beraubet vor vielen uns so des frühesten Glückes,
Welches die Jugend verschönt, des frohverschwisterten Daseins?
Und zu der Eifernden d’rauf, mit ernsten Worten, Simaitha:
Heftig tadle doch nimmer darum die alte Gewohnheit!
Nicht auf Lesbos allein, so weit die Erde bewohnt ist,
Waltet sie, alle beherrschend, in nur verschied’ner Gestaltung.
Streng ist jedes Gesetz; doch gönnet jedes der Milde
Noch, der beglückenden, Raum und auch der Ordnungen beste
100 Wird von dem rohen Gemüt verkehrt zu schädlichem Missbrauch.
Nicht unbillig schelte daher die Sitte der Heimat,
Die dich niemal gedrückt, und wiss‘!, uns ehret ihr Ursprung.
Denn nicht immer erfreute sich Mitylene des Schutzes,
Den jetzt friedlich Athen gewährt der blühenden Pflanzstatt!
Unruhestiftend, zerteilt durch heimlich gärende Zwietracht
Waren die Lesbier oft geneigt zu verderblichem Aufruhr.
Schrecklich reizten sie einst den Zorn der mächt’gen Beschützer,
Da sie der heiligen Treu uneingedenk sträflichen Frevel
Wagten, und feindlicher Macht sich gesellten, dem kriegrischen Volke,
110 Welches Sparta bewohnt und damals bewaffnet die Fluten
Mit vielrudrigen Schiffen durchkreuzte; die Häfen der Insel
Wurden eröffnet für sie, obschon der Klügere warnend
Abriet. Also verirrt in eitel törichter Ruhmsucht
Freute die Menge sich schon unsicheren Sieges mit Sparta,
Jenen früheren Bund mit frechem Trotze verhöhnend.
Aber siegreich wehten die Wimpel, strafend den Abfall,
Bald im umzingelten Port, zertrümmert sanken die Mauern,
Die den Erbauern getrotzt. Die spatbereute Verschuldung
Büßten viele der Männer, vom rächenden Strahle getroffen,
120 Nicht mehr Bürger der Stadt, die nun ein rauchender Schutt war.
Treu nur hatten dem Freunde sich stets, in der traurigen Gärung,
Tätig die Frauen bewahrt, die gern unsicheres Wagnis
Meiden, stilleren Sinns und zugetan der Gewohnheit.
Diesen verteilte der Sieger die blühenden Güter des Eilands
Dankbar zu stetem Besitz, und schloss die Männer vom Erbteil
Aus. Nun reizet nicht mehr den Jüngling üppiger Reichtum
Zu verweg’nem Beginnen, das frevelnden Aufruhr begünstigt.
Warnung bleibet ihm jetzt dies Angedenken der Vorzeit,
Wie von der Treue der Frau’n ein rühmlich dauerndes Denkmal.
130 Also im Wechselgespräch hinwandelnd, hatten die Schwestern
Nun den Platz erreicht, an den oftbesucheten Brunnen;
Wo ein Rasen sich zog, von Wegen durchschnitten und ostwärts
Lieblich vom Hügel begrenzt, der sanft und beschattet emporstieg.
Zwischen Zypressen schwankte die schlankaufstrebende Pinie,
Dort, aus dunklerem Grün erhob sie heiter die Krone;
Und so schmückte der Hain die Höhe mit wechselndem Kranze,
Senkte sich leichter hinab, im Kreise die Wiesen umfassend.
Hier entschäumte dem Felsen, der rings mit üppigen Ranken
Dunkler Epheu umschlang, die klare, reichliche Quelle,
140 Füllte mit leisem Geräusch das Marmorbecken und eilte,
Rieselnd des blühenden Tals zartduftende Blumen zu tränken,
Die in lieblicher Fülle (sie lockte der wärmenden Sonne
Freundlicher Strahl hervor, die milden Lüfte des Lenzes)
Hier am Fuß entsprossten der hohen Zypressen; in Büschen,
Welche den Fels umwoben, ertönte der munteren Vögel
Fröhlich wechselnder Chor; leissummend schwärmten die Bienen
Rings umher in die Kelche der Hyazinthen sich senkend.
Hier, wo beschattet die Bank zum halben Runde sich bildet,
Weilte der Wandernde gern, ergötzet in lachender Aussicht.
150 Weithin schweifte der Blick in heiterer Eb’ne, von herrlich
Wallender Saat bedeckt, von des Fruchtbaums Blüten umschimmert.
Endlich im Duft der Fern‘ erhob die trotzenden Mauern
Mitylene, sich längs am Felsgestade verbreitend.
Wie ein silbernes Band den Busen umschließet der Jungfrau,
Schlang den blaulichen Streif das Meer um die steigenden Ufer.
Aber den lieblichen Born beschützte die Kette der Hügel,
Feigen tragend und Wein, mit bräunlichen Früchten der Ölbaum,
Gegen den stürmenden Nord; hier sammelten täglich des Tales
Mädchen sich, und es mischte sich dann in der Quelle Gemurmel
160 Still vertrautes Gespräch und der Scherze frohes Gelächter.
Ringsher standen sie alle die Krüge füllend und riefen
Laut den nahenden Schwestern ein froh Willkommen entgegen.
Anmut schmückten und Reize der Jugend sie, denn vor allen
Wogenumrauschten Inseln berühmt sich die felsige Lesbos
Lieblich blühender Weiber. Und fröhlich eilten die Jungfrau’n
Nun den Gespielinnen zu, die dicht im drängenden Kreise
Sich gesammelt um sie; die junge Dämo, Chariklo,
Welche die muntere hieß, auch Kalithoa, nicht fehlte
Thestylis, welcher zugleich die nährende Brust mit Simaitha
170 Einst die Trakerin bot, sie nannten beide sich Schwestern.
Alle sodann mit heiterem Wort, unschuldigen Scherzes,
Eine der ander’n die Red‘ entreißend, neckten die Freundin,
Die zu ihnen geneigt mit liebreich freundlichem Lächeln
Schweigend die Munteren hört; denn ernster stimmte sie heilig
Stiller Liebe Gefühl. Da nahte der trefflichen Jungfrau
Dämo geschwätzig, und sagte die fragenden Worte mit Vorwitz:
Sprich! Wie scheinest du doch so ruhig immer und kalt mir?
Seltsam, dass du doch nie im munter’n Gespräche nur einmal
Jenes Jünglings gedenkst, den morgen auf immer dir Hymens
180 Lächelnde Feier vereint. Von jenen, welche, bekränzet,
Stets bei Festen der Götter im Tempel sich sammeln, erschien uns
Schön wohl mancher und würdig, dein froher Gatte zu heißen;
Aber noch wüssten wir nicht, ob dieser schön, ob er hässlich?
Ja, es quälte noch heute die unbefriedigte Neugier,
Käme gefälliger nicht allein an den Brunnen Likoris,
Gern den stürmenden Fragen mit williger Antwort entgegnend.
Wunder doch nimmt es uns nicht, wenn tief im ruhigen Busen
Dir die Liebe geweckt der herrliche Mann. Ein Halbgott
Scheint er uns allen, obgleich uns durch Erzählung bekannt nur.
190 Manches Stündchen, nicht achtend, ob ungeduldig die Mutter
Uns’rer harre daheim, vielleicht mit Schelten, verweilten
Sprachlos lauschend wir hier! Und wie dem Felsen die Quelle
Immer reichlich entströmt, so fließt das unendliche Lob auch
Von Likoris Lippen. Der Sterblichen keiner ist schöner,
Edler der Sitten wie er, und werter der Lieb‘ als Diokles!
Also endet sie stets, ja sollt‘ ich jetzo es wahrhaft
Sagen, welche die Braut, die liebende, mir von euch beiden
Scheinet, riet ich nur sie, um deren brennende Wange
Schatten die Myrthe verbreitet, im Schoß die Blüten ihr streuend.
200 Sorglos schien sie bis jetzt die Silberblätter zu zählen,
Bis aus dem Traume sie schnell der holde Name geweckt hat.
Und Simaitha kehrte den Blick zur Schwester, die glühend
Dasaß. Also färbet Aurora höher der Rose
Purpur im Morgenstrahl, ihr glich die junge Likoris.
Denn im Innersten nun enthüllend ihr tiefstes Geheimnis,
Hatte das scherzende Wort sie getroffen mit schmerzlicher Wahrheit.
Unaufhaltsam strömten die Tränen reichlich ihr blühend
Antlitz, die rosigen Finger der hüllenden Hand ihr benetzend,
Wie der perlende Tau von Aeos Fingern herabfleust.
210 Aber Simaitha trat der Weinenden näher und schloss sie
Zärtlich schonend ans Herz, sie redete liebreich die Worte:
Schwester! Warum wird so des traulichen holden Gespräches
Heiterer Lauf getrübt, durch Zähren meiner Likoris,
Die unerwartet mir schnell die Freude verkehren in Unmut?
Ach! Wir erfahren so oft, dass der Götter waltender Ratschluss
Sorge gattet mit Lust und Furcht mit der lieblichen Hoffnung;
Müssen töricht wir selbst willkürlich Übel erdichten!
Lebhaft fühlet das Herz, das unerfahr’ne, und wähnt sich
Oft verwundet, wenn leicht des Scherzes Pfeil es berührt hat;
220 Aber dir, die im Schoß erwuchs der zärtlichen Liebe,
Bleibe fremd der Verdacht, ein froh Vertrauen geziemt dir!
Offen lächle dein Auge, nicht senke schüchtern die Wimper,
Meide nicht den Blick, der nie dich zweifelnd verkannte,
Reuen möge dich’s nimmer, was hier du geredet voll Unschuld.
Denn so freuet sich nun dein kindlich Herz auch des Glückes,
Welches freundlich mir naht, als sei’s das deine, dies weiß ich.
Also Simaitha zu ihr; und gegen Dämo nun wandte
Streng sie verweisenden Blick und sprach mit ernster Bedeutung:
Unbedachtsame Worte, o Mädchen, sind dir entflohen!
230 Deiner Jugend allein verzeihlich, denn sie verraten
Nur den kindlichen Sinn. Es hätte keine der and’ren
Unbesonnen wie du die Mitgespielin beleidigt.
Eh mutwillig der Scherz den lächelnden Lippen entgleitet,
Sehe jedes doch zu, auf wen es richte die Pfeile.
Immerhin necke getrost der munt’re Spötter den Gleichen,
Welcher die beißenden Worte gewandt und schnell ihm zurückgibt,
Aber kränkender trifft des leicht verwundenden Scherzes
Stachelt den Unerfahrenen oft auch, welcher nicht also
Gleich den fröhlichen Spott beherzt zu erwidern geübt ist.
240 Denn verschieden gebildet ist jedes Gemüt und es wechselt
Mannigfaltig der Sinn der Menschen, jener erfreut sich
Laut des gelungenen Wunsches im frohen Rausch; es bewahret,
Still, in verschlossener Brust, der andre die gleichen Gefühle.
Besser auch ziemt es dem Menschen, den stets das dunkle Verhängnis,
Schnell beschwinget, ereilt, dass still, mit bescheidener Freude,
Er begrüße das Glück, die Gabe freundlicher Götter,
Gleich gefasst auch das Übel, das immer nahe, zu dulden.
Laute Freude, sie sit der Kindheit flüchtiges Erbteil,
Welche die Gegenwart, die schnell verrauschte, genießet;
250 Doch bald reifet zum Menschen das Kind, da fasst ihn der Kummer.
Ach! Wer des ersten Verlusts unendliche Leiden empfunden,
Heiter geht er dem Schmerz entgegen, ernster der Freude.
Und die Herrliche schwieg; die Seele bewegt ihr Erinn’rung,
Süß und bitter gemischt, mit langverhaltenen Tränen
Füllend ihr glänzend Aug‘, es windet sanft aus den Armen
Der Gespielinnen sich mit schmerzlichem Lächeln die Jungfrau.
Doch jetzt sprch sie gefasst: lang weilten wir plaudernd und mancher
Dehnet sich länger im Tal der Pfad zu der ländlichen Wohnung.
Mögt‘ ihr eingedenk aber der Bitte sein, so geleitet
260 Noch die Schwester mir heim, dünkt nicht zu groß euch der Umweg.
Hier noch weil‘ ich indes in dämmernder Stille des Abends,
Bald erhebt sich der Mond und leuchtet schön mir zur Rückkehr.
Grüßend schied nun und freundlich die Schar der Mädchen, zurückblieb
Thestylis nur, die am Fels mit traurigem Schweigen gelehnt stand.
Doch als der wandelnden Mädchen leicht flatternd weiße Gewänder
Fern schon wehten im Tal, bewegt von dem Hauche des Abends,
Schlang sie heftig den Arm und fest um den Nacken der Freundin,
Also sprechend zu ihr, in bitter klagendem Unmut:
Ach! Das allzu spät kurzsichtigen Menschen die Zukunft
270 Sich, die nahende, zeigt, wenn bang, von Trauer begleitet,
Unvermeidlich sie schon mit eilenden Füßen herantritt.
Doch nicht fesselt die Scheu, dein zartes Herz zu verwunden,
Länger die Zunge mir an, enthüllt sei nun das Geheimnis!
Längst schon ahndet‘ ich still, verborgen nähret Likoris
Sträfliche Flammen im Busen. Für deinen Verlobten entbrennt sie.
Darum trafen so tief des Mädchens kindische Worte
Sie, die Schuldbewusste, verraten hat sie sich selbst nun.
Ach! Dass er nur getreu sich dir bewahre, die Neigung
Niemals ahnde der Schwester. Denn schwankend oft ist der Männer
280 Eitler Sinn, und es reizt die Wankelmütigen manchmal
Mehr die flüchtige Gunst als treue heilige Liebe.
Wie! Genüget es nicht dem unversöhnlichen Schicksal,
Dass die schäumende Flut dir raubte den frühen Geliebten!
Sollte den Bräutigam auch die Schwester, welche du selber
Liebend gebildet, dir jetzt entführen mit tückischem Undank?
Also Thestylis laut, mit vielberedten Gebärden.
Doch ihr entgegnete drauf, mit ernster Fassung, die Freundin:
Sprich! Wie redest du so, in übereileter Hitze,
Seltsame Wort‘ und erregst mir Argwohn quälend im Busen?
290 Immer fand ich bedeutend und wahr, was du sagtest, doch scheint mir’s
Jetzt, als trübe betrüglich die klaren Sinnen ein Traumbild.
Zög’re länger nicht mehr, vom bangen schmerzlichen Zweifel
Schnell zu befreien die Brust, das verworrene Rätsel mir lösend.
So die Jungfrau. Da rief die andere: Wunderbar fügen
Waltende Götter es nun, dass dir, die immer nur spottet,
Wenn wir andern, besorgt, uns deuten nächt’ge Gesichte,
Dass dir selber ein Traum verkünde das drohende Schicksal.
Nicht dem eig’nen Blick, dem treuen Auge der Freundschaft
Zeigte der Warnende sich, den du verschmähet; sie legt ihn
300 Nun ans Herz dir, empfang‘ ihn, den Wink befreundeter Mächte.
Wisse denn! Als heute dem Tag die goldenen Pforten
Aeos geöffnet, entschlief ich aufs neue, und nimmer geschieht dies,
Stets erweckt mich die Lerche, die frühe, zur munteren Arbeit.
Festlich geschmückt erschienen wir alle fröhlich versammelt,
Kränze flechtend im Tal, zur heitern Feier des Lenzes;
Wolkenlos strahlte der Äther, es wehten säuselnde Lüfte,
Als es im herrlichen Blau die silbernen Schwingen bewegend
Immer tiefer herab zu uns sich senkte. Die Mädchen
Schrien froh dir zu, den Lieblingsvogel erkennend,
310 Deine Taube, Simaitha, die jüngst du schmerzlich vermisstest!
Und du hüpftest empor mit frohem Schreck, es entfielen
Dir vom Schoße die Blumen, die du gesammelt; die schönen
Lagen auf tauigtem Grund, die rings um die Füße zerstreuet.
Schmeichelnde Namen entgegen der Wiederkehrenden riefst du,
Strecktest die Arm‘ empor, die zarten Schwingen zu fassen:
Siehe, da wandte betrüglichen Flug der Vogel Cytherens.
Dreimal umkreist‘ er das Haupt der braungelockten Likoris,
Wiegte ruhend sich dann am Busen ihr, auf des Straußes
Duftenden Blumen, und schlug, liebkosend, mit glänzendem Fittig,
320 Buhlerisch, bald ihr die Schulter und bald den blendenden Nacken.
Ach! Und du locktest zurück mit süßer Stimm‘ ihn vergebens.
Sprich, Simaitha! Erscheint der Träume klarster der Deutung
Wohl bedürftig dir noch? Und eitel die Sorge der Freundin?
Doch es nahet das Übel nicht unerwartet und plötzlich
Überraschend sich nun, du selbst ja, soll ich es frei dir
Jetzt gestehen, bereitet’st es längst dir durch schändliche Nachsicht.
G’nügte dir, da du kühn die alte Sinne verschmähtest,
Mild die Schwester zu lösen von angeborener Knechtschaft?
Zogst du nicht sie empor, wie allzu zärtlich die Mutter
330 Sorgsam des Lieblings pflegt, den selt’ne Güter erwarten;
Nicht erwägend, ob auch der Menschen strenger Erzieher
Ihn zum Liebling wähle, das unbestechliche Schicksal.
Darum wähnet sich jetzt, mit gleichem Rechte, Likoris
Froher Liebe bestimmt und den lieblichen Banden des Hymens,
Darum lodert ihr längst die sträfliche Flamm‘ in dem Busen
Von der Hoffnung genährt! – O! Schweige, rufet Simaitha,
Häufe zu Schmerzen mir nicht den seelerschütternden Vorwurf!
Was du als Fehler mir schiltst, soll nie mich reuen! Die Knechtschaft
Tötet nimmer in uns die allbesiegenden Triebe,
340 Welche die ewige Mutter so tief in den Busen gesenkt hat.
Lass mich es denken denn, das niegedachte, dass heimlich
Liebe das Mädchen genährt, und Gegenliebe der Jüngling;
Opfert‘ ich freudiger nicht der Schwester dann und der Freundin
Selbst das süßeste Glück, als würd‘ es mir schlau von der Sklavin
Kalt und tückisch geraubt? Doch geh‘ jetzt, Thestylis, einsam
Lass und schweigend die Brust, die bangbewegte, mich stillen.
Fremde Leiden bestürmen sie heut‘ und neue Gefahren
Drohen der heiligen Ruh‘, es droht dem liebenden Herzen
Kalter schmerzlicher Hass. O! Weht, ihr säuselnden Lüfte,
350 Wehet Frieden mir zu! In deinem freundlichen Schoße,
Gütige Mutter Natur, verstummt, wie der weinende Säugling
Schläft an der nährenden Brust, der Leidenschaft regeste Stimme.