Abend senkte sich nun und still vertrauliche Dämm’rung
Auf die Fluren herab, es streiften leiser die Winde
Über der schlummernden Trift mit Kühlung wehendem Fittig.
Fern in Westen entglimmt‘, am Purpursaum des Gewölkes,
Schon der liebliche Stern, der Führer glänzender Scharen,
Welche die schweigende Nacht erhellen mit freundlichem Schimmer.
Säuselnd wiegten die Zweige der blühenden Myrthe des Tages
Fröhliche Sänger in Schlaf, es kehrten emsige Bienen,
Noch mit süßer Beute beladen, summend zurücke.
10 Schon gesenket standen die schlummernden Blumen und schlossen
Leis‘ den farbigen Kelch, der zarten Düfte Bewahrer.
Und an den Felsen gelehnt saß unbeweglich die Jungfrau,
Senkt‘ in die stützende Hand ihr Haupt mit sinnendem Schweigen.
Ersten Blicks vielleicht, ging hier ein Wandrer vorüber,
Hätt‘ es diesen gedünkt, sie ruhe nach fröhlicher Arbeit,
Eingewiegt von des Quells leisflüsternd sanftem Gemurmel,
Teile sorglos sie auch der Götter freundlichste Gabe
Mit der ganzen Natur, den holderquickenden Schlummer.
Aber die liebliche Ruhe verscheuchte die schmerzliche Sorg ihr,
20 Welche die Freundin erregt mit ängstlich dringender Warnung,
Und so sprach sie zu sich, im Stillen manches erwägend:
Ja! Wie kann ich es selber mir bergen! Stand doch Likoris
Erst mit Erröten vor mir, in stumm beschämter Verwirrung,
Und das unendliche Lob, wie scherzend es nannten die Mädchen,
Zeigt es die Schuldige nicht, die frevelnde Liebe beschönigt?
Oder trübte vielleicht ein kränklich nichtiger Argwohn
Thestylis‘ spähenden Blick und schuf ein täuschendes Schreckbild?
Ist auch strafbar darum Likoris, weil sie die Neugier
Der Gespielinnen stillt, mit munterem Plaudern, des Jünglings
30 Schönheit preisend, verbunden der Sitten Adel und Einfalt?
Hebt mir doch froh der Gedanke den Busen, dass ich sein eigen
Bald auf immer nun bin, und wenn ich der lieblichen Hoffnung
Jetzt mich stiller erfreue, greift durch das ernstere Schicksal,
Zürn‘ ich ihr billig darum, die hold in reizender Unschuld
Zwischen dem Kinde noch schwankt und der zartentblühenden Jungfrau,
Dass sie offen ihr Herz uns zeiget sicher und arglos?
Also redend erhob mit heit’rer Ruhe Simaitha
Schon den entwölkten Blick, doch plötzlich umschwebt‘ ihr die Stirne,
Dunkler Ahndung voll, des warnenden Traumes Erinn’rung.
40 Schon erfüllet wähnte sie ganz die traurige Deutung,
Sah den Bräutigam, los aus ihren Armen sich reißend,
An dem Busen der Schwester und barg in die Hände das Antlitz.
Doch ein kurzes Besinnen gab schnell die Fassung zurück ihr,
Und so sprach sie bewegt: Kann denn ein nichtiges Dunstbild
Mich mit Sorgen erfüllen, die stets der Täuschungen lachte?
Ja, ich fühl‘ es, den Geist bewahret vor schändlichem Irrtum
Mehr die Zufriedenheit als je die Vernunft und die Wahrheit.
Kühn verschmähet und stolz jedweden Wahn der Beglückte,
Freundlichen Göttern vertrauend, die Gegenwart bürgt für die Zukunft;
50 Doch wenn nun der Verlust ihm droht des teuersten Glückes,
Weicht auch die stützende Hand der Himmlischen, trostlos und einsam
Bebt der Sichere jetzt und fasst, in grausender Dämm’rung,
Dann der Ahndung schwankendes Band; sie knüpft an die Hoffnung
Leis‘ ihn wieder aufs neu‘, indem sie der Furcht ihn verbindet.
Also strebte Simaitha, mit ruhig ernster Betrachtung,
Sanft die Sorge zu täuschen des heimlich quälenden Argwohns;
Als, die betaueten Wiesen durchwandelnd, jetzt Diokles
Ihren Blicken sich zeigte, verheißen hatt‘ er der Jungfrau,
Wenn der Tag sich geneigt, im Tal ihr hier zu begegnen.
60 Darum weilte sie noch allein und harrte des Jünglings,
Den am schirmenden Felsen des Pfades Krümme nun herführt.
So wie bei sinkender Nacht ein Wand’rer, der in des Waldes
Dunkel verirrt sich sieht auf wild unwegsamem Pfade,
Wenn ihm plötzlich von fern das Licht aus wirtlicher Hütte
Strahlet, getrosten Sinns sich wendet zur menschlichen Wohnung,
Wo er in Ruhe nun hofft nach bang unsicherem Schweifen:
Also schauet mit Lust und frohem Hoffen die Jungfrau
Zu dem geliebtesten Mann und jeder Zweifel verschwand ihr
Vor des Geliebten Näh‘, auf den sie einzig vertrauet.
70 Ihm entgegen nun trat sie so voll heit’rer Erwartung,
Aus der Bäume Kreis, der noch sie, in dichter Umschattung,
Seinem Blicke verbarg, und nannte den Namen des Jünglings.
Aber als ihm, der sinnend, im wachen Traume, die Blicke
Starr zur Erde gesenkt und, unbekümmert des Pfades,
Unbewusst ihm gefolgt, die sanfte Stimme Simaithas‘
Tönte, die hohe Gestalt entstieg den Schatten der Dämm’rung,
Hob er das lockige Haupt mit Staunen, und hemmte den Fußtritt,
Bis mit fragenden Worten die Jungfrau also ihm zurief:
Sprich! Was fesselt so starr am Boden den wandelnden Fuß dir,
80 Dass nicht eilend, wie sonst, und gern dein Schritt mir begegnet?
Schreckte die Stimme dich der Geliebten? O wie verschieden
Ist vom mutigen Manne das Weib, das schüchterne nennt ihr’s!
Furchtlos immer doch würd‘ ich die deine hören und stieg mir
Auch entgegen der Ruf aus dem Schoße des nächtlichen Orkus;
Nur ein Nachhall noch der Stimme lieblicher Sehnsucht
Würde nimmer fremd sie mir ertönen noch schreckbar.
Doch, mit fliegenden Worten, darauf der schöne Diokles:
Traun, du Treffliche zürnest mir billig, selber doch dünkt mich
Jetzt befremdend, wie dir, mein furchtsam zögerndes Staunen.
90 Aber als du hervor am Felsen schwebtest, umwallte
Lichterer Glanz die herrliche Bildung, ähnlich den reinen
Heiligen Nymphen des Quells, wenn leis‘ sie im Dufte des Abends,
Silbernen Fluten entsteigend, zum Reihen sich sammeln, erschienst du
Eine der Himmlischen mir, umwebt von dem Schimmer der Gottheit.
Also Diokles beschämt, und ihm erwidert Simaitha:
Nicht was ich eben dir schien, ein Wesen höherer Abkunft,
Nein, der sterblichen Frau’n geliebteste mögt‘ ich dir heißen.
Denn die Göttin verehret der Mann, ihn fesselt das Weib nur.
Scheinet doch dies Wort, so sprach der blühende Jüngling,
100 Aus den Tiefen der Brust geraubt mir! In schöner Bedeutung
Sprichst du klärer nur aus, was dunkel längst mich Empfindung
Lehrte! Fremd bleibt immer dem kleinen Menschen die Gottheit.
Kaum erreichet der Dampf des Dankaltars die Gewölbe,
Über denen sie thront, und froh vertrauend nur neiget
Sich zum Menschen der Mensch, um Freud‘ und Gebrechen zu teilen,
Und die Schwäche nur knüpft die unauflöslichen Knoten.
Aber mit heiterem Ernst entgegnete diesem die Jungfrau:
Wenn im hohen Olymp die Götter thronen, so sind sie
Nicht uns ferner darum, und stiege zu ihnen des Dankes
110 Stimme nimmer empor, so strömte doch nieder die Wohltat.
Heiter umwallet uns stets des Tages freundliche Klarheit,
Mild uns die friedliche Nacht, mit allen ewigen Sternen.
Über beide ja waltet ein hohes himmlisches Antlitz!
Phöbus der Strahlende schenkt den Tagen Freude; der Schwester
Immer wechselndes Licht erhellet die zögernden Nächte.
Schau, dort steigt sie empor, am waldumkröneten Hügel;
Kein Gesang erschallt aus dem Busch, mit ruhendem Fittig
Schlummern die Zephyre hier, gewiegt auf tauigten Blumen.
Aber du lehnest stumm, Geliebter, an der Zypresse,
120 Gänzlich scheinst du versenkt in traurig ernste Betrachtung?
Also fragte sie; tief erseufzend versetzte der Jüngling:
Ja, was berg‘ ich es dir – mir weckt im Busen nur Wehmut
Rings die nächtliche Ruh‘ der weiten lebenden Schöpfung.
Muss im dämmernden Reich des süßen Schlummers allein denn
Stets die menschliche Brust beweget bleiben und rastlos?
Aber ihm nahte gelassen, mit ernsten Worten, Simaitha:
Zürnst du den Göttern, mein Freund, den gütigen, dass sie das Herz dir
Zart und fühlend gebildet, der Freud‘ und dem Kummer empfänglich?
Doch von außen dringt und oberflächlich der Schmerz nur
130 An die ruhige Brust, wo tief im Innern das Glück quillt.
Aber sage, warum doch jetzt, so nahe der Stunde,
Die uns auf immer vereinet, du fern dich zeigest und fremd mir?
Trübes Schweigen nur ist’s und scheu verschlossener Kleinmut,
Welche dem offenen Blick, der heiter’n Rede begegnen.
Bist auch du es, Diokles, und war es wirklich die teure
Stimme, die ich vernahm? So wie vom ferneren Felsen
Dumpf des Freundes Ruf herüber schallt, es verwehet
Jedes schmeichelnde Wort der Liebe ein neidischer Lufthauch,
Also hör‘ ich auch nun den Ton, der das Herz mir beweget;
140 Aber des froherwünscheten Sinnes lausch‘ ich vergebens.
Lass von hinnen uns geh’n! Es weben zürnende Nymphen,
Wie der Efeu den Felsen umstricket, hier um die Seele
Sorg‘ und Zweifel mir nur; die kalte Hand des Verdachtes
Löst von dem liebenden Busen die schönsten, heiligsten Bande.
Also sprach sie und wandte sich abwärts, doch es ereilte
Schnell sie der Jüngling und rief in innig tiefer Bewegung:
Nicht verkenne mich so! Fürwahr, dir fasste der Argwohn
Quälender nimmer die Brust, als bange Scheu, dich zu kränken,
Auch mich ergreifet; allein ich hasse der schmeichelnden Worte
150 Feigen Doppelsinn, und stets erschien ich dir wahrhaft,
Offen bleibe darum und rein auch unser Verhältnis.
Ja, ich bekenn‘ es dir frei: mit still gehegter Besorgnis
Seh‘ ich nahe den Tag der langerhofften Verbindung,
Fremder fühl‘ ich mich nun dir jetzt, doch richte du selbst mich.
Zweimal füllte sich kaum die wechselnde Scheibe des Mondes,
Seit ich zuerst in dem Tempel dich sah, die schönste der Jungfrau’n,
Liebe durchglühte die Brust mir, du kamst dem schüchternen Jüngling
Sanft entgegen, und so entlockte schmeichelnde Hoffnung
Das Bekenntnis mir gleich der neuen süßen Gefühle.
160 Nur das reizende Weib entzückte mich; heiter, um Liebe,
Liebe zu tauschen, erschien mit der Frauen höchste Bestimmung;
Doch als, näher ich dir, erstaunt die besonnene Klarheit
Sah des seltenen Geists, und deines tiefen Gemütes
Heilige Still‘ und Huld, wie schien ich selber so klein mir!
In dem Innern des Hauses erschienst du, ähnlich dem Schutzgeist,
Freundlich waltend vor mir, die kleinsten Geschäfte veredelnd;
Stets um alles besorgt, zugleich mit heiterer Ruhe
Ganz gesammelt in dir. Da schien des eigenen Wirkens
Engbeschränkter Kreis mit jetzt so nichtig und zwecklos.
170 Sprich! Was könnt‘ ich dir sein, das du nicht alles dir selbst bist?
Was dem liebenden Weibe im frohen Bunde gewöhnlich
Wird der reifere Mann, ein Freund, der, reich an Erfahrung,
Klug sie die Pfade des Lebens, die vielverschlungenen, leitet,
Gütig die Schwächen der Gattin erträgt und mild sie zurechtweist,
Nimmer werd‘ ich es dir! O sprich, welch seltenes Schicksal
Hat, auf die zarteste Form des Weibes, höherer Weisheit
Ernstes Gepräge gedrückt, und was gesellte der Blüte
Rosiger Jugend zugleich des Greisen ruhige Klugheit?
Aber Simaitha sprach, die schöne, traurig erwidernd:
180 Eine Welt von Erfahrung und Leiden trag‘ ich im Busen!
Zürnt denn aber so streng ein unversöhnliches Schicksal,
Dass die höhere Ruh und Fassung, welche das Unglück
Bot mit tröstender Hand, als mit der andern es alles
Mir entriss, anjetzt mir den Geliebten entfremdet,
Und durch den schönsten Besitz mir raubet die lieblichste Hoffnung?
Doch, wohl fühl ich’s, bedarf der Augenblick eines Wortes,
Das ich im Busen verschloss. Ja, hätte, teurer Diokles,
Ernst und Schweigen von mir dich entfernt und die Bande gelöset;
O! So knüpf‘ uns aufs neue zusammen Vertrau’n und Empfindung!
190 Seltsam schein‘ es dir nicht, wenn ich geschwiegen, denn zögernd
Löst ein langverschlossener Schmerz sich nur von des Busens
Schweigendem Heiligtum, wo er einst ein Gott uns geworden,
Dem wir die herrlichsten Opfer, die teuersten, Freude und Hoffnung
Lange geweihet! Und stürzt die Zeit auch den traurigen Altar!
Ehrt das geheilete Herz noch still, was einst ihn geheiligt.
Einen Freund besaß ich, als kaum wir(!) der lächelnden Kindheit
Rosiger Nebel zerfloss. Die Zeit, wo das tändelnde Mädchen
Zwischen Blumen noch spielt, gewann die schönste Bedeutung
Für das junge Gemüt, und, wie auf grünenden Höhen,
200 Hold gewecket vom Strahl des goldnen Tages, die Blume
Früher den farbigen Kelch entschließt, wenn im Dufte der Dämm’rung
Schlummern die Kinder des Tals, auch so entfaltete schnell und
Heiter, im Sonnenscheine der heiligsten Liebe, mein Geist sich.
Aber der herrliche Mann, der stolze, verschmähte den Vorteil,
Den die Sitte gewährt, nach welcher dem ärmeren Jüngling
Gern das begüterte Mädchen die Hand reicht, im Handel des Auslands
Wollt‘ er Schätze für mich erwerben. Unseliger Großmut!
In den Wogen fand er sein Grab; um den lodernden Holzstoß
Tönte kein trauriges Schluchzen der Braut, nicht ruh’n die Gebeine
210 Unter beschattetem Mal, verschlungen hat ihn der Abgrund.
Aber die ganze Natur war nun bedeutend und heilig
Mir geworden, ein Kranz, der schön die ewigen Blüten
Schlang um das herrliche Haupt des lichtumstrahlten Geliebten.
Jene blauliche Flut, die fern im Schimmer des Abends
Dort uns glänzet, durchschnitt vordem das eilende Fahrzeug,
Das von hinnen ihn trug; an diesem felsigen Ufer
Stand ich weinend vor ihm, als männlich fest er des Abschieds
Schmerzen trug. Wie oft verweilt‘ ich hier am Gestade,
Duftende Kränze flechtend, ich weihte sie glaubig den Nymphen,
220 Dass sie mir schützten den Freund und zähmten die brausende Meerflut.
Auch zum Himmel empor, wo still die Söhne der Leda
Nebeneinander die Bahn durchlaufen, in seliger Eintracht,
Hob ich freudig den Blick. Sie, die mit strahlendem Fittig
Tröstend erscheinen dem Schiffer, ein frohes Zeichen der Rettung,
Wähnt‘ ich mir nah und verwandt, sie teilen die Sorgen der Liebe.
So wand Erd‘ und Himmel, im ernster’n heiligen Kreise,
Bald sich bedeutend um mich, und als die Hoffnung hinabsank,
Stieg, ein milderes Licht, empor mir heiter Erinn’rung.
Aber mein Herz bedarf des deinen, dass ihm die Jugend,
230 Ach, die gold’ne, zurück noch kehre! Liebe verknüpfet
Fest nur beglückend aufs neu, mich dann der verödeten Zukunft.
Und sie neigte die Stirn, die reine blühende Jungfrau,
An des Jünglings Brust, der leis‘, voll inniger Rührung
Sie umfassend, rief: Vergib des Schüchternen Blödsinn!
Wie ein sterblicher Mann, den unerwartet der Göttin
Himmlische Liebe beglückt; fühl auch ich, Herrliche, selig
Mich in deinem Besitz! O lehre das Glück mich ertragen!
Diesen höher’n Glanz, der dich umstrahlet! Und dankbar
Weih‘ ich ein Leben dir ganz, das deine Liebe geheiligt.