Fünfter Gesang

Grausam übst du die Macht, die über Götter und Menschen
Dir verliehen ist, aus, o! schmerzerregender Eros!
Kein Gesetz ist dir heilig, du überspringest mit Wilkür
Kühn die Schranken der Pflicht, die ernst dem Menschen gebietet.
Frevelnd versendest den Pfeil du, den leichtbeschwingten, vom gold’nen
Bogen, wie dir’s gelüstet. Der sittlichen alten Gewohnheit
Achtest du nicht und zerreißest geprüfte Bande der Freundschaft.
Denn in des Jünglings Brust, in den reinen Busen der Jungfrau
Gießest du lodernde Gluten, der Liebe schmerzliche Sorgen
10 Und gleich bittere Qual des Vorwurfs beiden bereitend.
Keines entgehet dir je, und oft noch wähnet sich sicher
Einer, dem sich der Pfeil schon tief in den Busen gesenket.
Scheust doch du dich nicht, dem Donnerschleuderer Liebe
In der göttlichen Brust erweckend, ihn vom Olympos
Schmeichelnd hernieder oft zu zieh’n in der Sterblichen Wohnung.
Ja, in wildumgreifendem Frevel schonest du selbst nicht
Auch der eigenen Mutter, der lächeln-liebenden Küpris.
Aber allein geschützt vor dir und deinem Geschosse
Sind Menemosynens Töchter, die lieblich redenden Musen,
20 Sie, die kundig des Lieds und kundig der tönenden Leier
Taten der Menschen singen, so wie der unsterblichen Götter,
Welche die Liebe betört; doch sie beschützt des Gesanges
Zauber, den Busen bewegt allein der liebliche Wohllaut.
Waltet huldreich denn, ihr hohen heiligen Jungfrau’n,
Jetzt auch über mein Lied! Ich singes des schönen Diokles‘
Heimlich lodernde Lieb‘ und die Liebe der jungen Likoris.
Ach! Die Arme, sie hatte das sinneverwirrende Gift schon
Aus dem ersten Blick des Jünglings gesogen, der ähnlich
War den Göttern an Wuchs und edler blühender Bildung.
30 Doch ihm selber verstrickte mit falschen Netzen den Busen
Eros und Himeros, schlau ihn den ersten Wegen entlockend.
Denn Simaitha besaß sein Herz! Die höhere Schönheit
Ehrt‘ er fühlend in ihr, der Krone herrlicher Jungfrau’n;
Aber zu nah erschien ihm der Unschuld rührender Liebreiz,
Welcher die Schwester schmückte; der Liebe früheste Regung
Sah er mit Anteil durch sich im zarten Busen gewecket,
Und so wandte sein Herz zum holdaufblühenden Mädchen
Leis‘ sich hin; denn schwer ist’s widerstehen der Neigung,
Die nicht Erwiderung fordernd sich unbegrenzet uns hingibt.
40 Dankbar wähnte Diokles sich so und schon war er untreu.
Höher hob sich stets und unerreichbar Simaitha
Seinen Blicken empor, es schmiegte der jungen Likoris
Liebelächelndes Bild sich enger dem Busen des Jünglings
Und vertraulicher an, zu spät erwacht das Bewusstsein,
Da der Leidenschaft Sturm schon allgewaltig ihn fortreißt.
Also ermuntert vergebens sich einer, der an des Nachens
Steuer entschlief, wenn entfesselt die Wut der Orkane daherbraust.
Nacht umhüllt ihm den Blick, die leitenden Sterne verschleiert
Trüglicher Nebel, indes verirrt sein schwankendes Fahrzeug
50 Nun des Ozeans Pfade, die wogenumtürmten, durchschneidet,
Uferlos und fern vom heiter’n Gestade der Heimat.
Auch Diokles Aug‘ schloss nicht sich heute zum Schlummer,
Sorgen hielten ihn wach! So schien, im bangen Gefühl, ihm
Länger die säumende Nacht, und kaum errötet, im Osten,
Heiter das graue Gewölk und kündet den nahenden Tag an,
Als er, den Morgen zu grüßen. des engen Gemaches Umdämm’rung
Schnell enteilte, hinan den dichtangrenzenden Weinberg
Wandelnd auf tauigtem Pfad, er stand umblickend jetzo
Still, wo kunstlos im Fels gehauen aufwärts der Fußsteig
60 Führte zum ebenen Rund, der Höhe Gipfel, es dehnte,
Nur mit Bänken umfasst, sich frei der geräumige Platz aus;
Unbegrenzet rings eröffnete weit sich die Aussicht
Hier in die heiteren Täler des reichen blühenden Eilands,
Das die felsigen Ufer aus grünlichen Fluten emporhebt.
Und schon glühte das Meer von den weithinwallenden Schleiers
Purpur herrlich gefärbt, wie schön er der rosigen Aeos
Antlitz flatternd umweht, der Fluten heiteren Spiegel
Kräuselt aus Osten der Wind und jedem Blatte Bewegung
Gibt er, mit schmeichelndem Hauch die zarten Knospen umsäuselnd,
70 Dass sie zu Blüten entfaltet, im Glanz errötender Unschuld.
Prangten, und lieblichem Duft, mit Perlen des Taues umschimmert,
Der vom flüsternden Laub ein sanfter Regen herabträuft.
Aber schmerzlich kehrte die sinnenden Blicke der Jüngling
Zu dem bescheidenen Dach, in dessen stiller Umschirmung
Stets der Friede gewohnt und bei der Freude die Eintracht.
Fliehen sah er im Geiste die alten Götter der Ruhe,
Die beschützend vordem gewaltet am häuslichen Altar,
Grausam verscheuchet nun durch Eros‘ verderbliche Willkür.
Ja, ihm schien auf immer in trüb verschleierter Zukunft
80 Jeder Ausweg verhüllt, und ängstlich sann er vergebens
Rettende Mittel und schafft‘ des Herzens traurige Schwachheit,
Als er, den Blick erhebend, nicht fern die junge Likoris
Unten vor sich sah, wie rasch sie die Steile hinanstieg.
Zu Diokles wandte sie schon die Blicke mit Sehnsucht,
Der auf der Höhe sich zeigt und jetzt erschrocken zurückschwankt,
Gleich dem träumenden Mann, der das sichere Lager, bewusstlos,
Blind hinwandelnd, verlässt: auf nachtumhüllete Pfade
Schreitet er ahnungslos, umringt mit dunklen Gefahren.
Wenn sein Name nun plötzlich ins Ohr ihm tönt, er erwachend,
90 Scheu, mit starrem Entsetzen das Auge wendet vom Abgrund,
Welcher zur Seit‘ ihm droht, er steht mit zweifelndem Entschluss,
Ob er den strauchelnden Fuß zurück, wohl, ob er ihn vorwärts
Setze, noch hält ihn die Furcht des nahen Sturzes gefesselt,
Wo er in schwindelnder Angst nun unvermeidlich ihm vorschwebt.
Also Diokles, er spähte bestürzt die Wege zur Flucht noch,
Als, den schwebenden Tritt beflügelnd, zunächst ihm das Mädchen
Schon, das eilende, trat, die hochgerötete Wange
An die Schulter ihm lehnte. Des Busens schnelleres Klopfen
Hemmte noch ihr die Rede; sie schaute tief atmend und sprachlos,
100 Still zu ihm empor; doch abgewendet das Antlitz,
Mühsam Kälte heuchelnd, berief sie also der Jüngling:
Unbesonnen doch eilst und wählst du den steileren Fußsteg,
Da der bequemere Gang sich sanft an dem Hügel hinanzieht!
Sieh‘ dir glühet die Wang‘ und schädliche Kühlung umwehet
Hier dir die brennende Stirn, doch lohnt so herrliches Schauspiel
Wohl den beschwerlichen Gang! Du kommt noch eben, den Aufgang
Hier der Sonne zu seh’n, die heut‘, in blendender Klarheit,
Aus dem wogenden Bad des weiten Meeres heraufsteigt.
Schau, wie, das lichte Gewölk durchbrechend, blitzende Strahlen
110 Aufwärts schießen. So wirkt in den zart durchsichtigen Schleier,
Klug verteilend, geschickt, die Weberin schimmerndes Gold ein.
Hell auch glänzen die Zinnen der Stadt und die heiteren Söller!
Aber, heftig bewegt, entgegnet ihm eilig die Jungfrau:
Schweig! O schweige hievon! Du zeigest, wozu mir das Auge,
Ach! Wozu mir auch jetzt der unbefangene Sinn fehlt.
Wohl gedenk ich der früheren Zeit noch, da ich den Hügel
Still aufwandelnd erstieg, der Morgenröte begegnend;
Doch nicht also heut‘; des Herzens heftige Regung,
Sie verschlingt, wie des Meers empörte Wellen des Mondes
120 Heiter’n Abglanz, mit der Natur erfreuliches Schauspiel.
Dich nur sucht‘ ich anjetzt, ich sehe dich nur allein hier.
Siehe! Mit Bitten steh‘ ich vor dir, ach!, aber im Unmut
Nicht versagend bestrafe den leicht befremdenden Wunsch nun.
Töricht scheinet wohl oft und unbesonnen der Entschluss,
Den ein Gott in die Brust, unsichtbar tröstend, uns senkte;
Also erfüllet auch mir ein Wunsch die Seele, von dir nur,
Rühret mein Flehen dich jetzt, erwart‘ ich froh die Gewährung.
Denn als gestern du noch so fromm der kränkelnden Mutter
Dachtest, welche nach dir sich sehnet in einsamer Wohnung,
130 Sieh! Da ergriff mich lebendig der Wunsch, die Teure zu pflegen,
Tröstlich vielleicht ihr zu sein. Die willigste Sklavin erwartet,
Um zu gehorchen, doch erst Befehle der Frau, und der Kranken
Stets abwechselnde Wünsche belauscht die sorgende Tochter.
Mutter werde sie mir, die Würdige, da sie mich aufnimmt.
Staunend trittst du zurück! Ja dir ist’s kundig, verschieden
War von diesem noch kurz, und fest, so schien es, mein Vorsatz,
Stets bei der Schwester zu weilen, bei ihr, die der dunkleren Kindheit
Treue Pflegerin war, und dann dem wachsenden Mädchen
Traute Gespielin erschien und freundlich belehrendes Beispiel.
140 Glücklich wähnt‘ ich mich schon, wenn ich beglückt nur die Schwester,
Die geliebteste, säh‘, vereinet mit ihrem Erwählten;
Doch jetzt fühl‘ ich’s! Euch störte doch nur die lästige Zeugin
Stets im heiter’n Genuss, auch zieht das ähnliche Schicksal
Nun die Einsame hin, zu ihr, die verlassen wie sie ist.
O gewähre die Bitte! Geleite selbst mich zur Mutter,
Und als Geschenke des Sohns, der teuren, grüßt sie vielleicht dann,
Sanft, willkommen mich auch, mich Unerfahr’ne belehrt sie.
Wenn mit der Spundel bei ihr ich sitze, wenn an dem Webstuhl
Hin und wider die Hand bewegt das glänzende Schifflein;
150 Dann erneuet sich ihr mit Wehmut süß die Erinn’rung
Jener früheren Zeit, wo stets im Kreise der Knaben
Du der schönste gewandelt, bei jeder munteren Übung
Auch der erste der Schar, wie bald du zum männlichen Jüngling
Reiftest, ihr zur Lust, und für das Alter die Hoffnung.
Aber es weinen die Frau’n, die dienenden, wenn sie die Tränen
Der Gebieterin seh’n, die nun den Entfernten betrauert,
Und in den Schoß entsinkt aus fleißigen Händen die Arbeit.
Wohl befragt mich dann jede mit Neugier: Ob die Beglückte
Seiner würdig auch sei, sie, die er sich wählte zur Gattin?
160 Und nicht zaudernd kalt, nein schnell, mit freudiger Neigung,
Sprech‘ ich herzlich es aus, das Lob der trefflichsten Jungfrau,
Die vor allen allein die deine zu heißen nur wert war.
Doch wenn das Tagewerk nun vollendet ist, stillere Nacht herrscht,
Schleich ich, vom Schleier umhüllt, an jenes Ufer, von dem uns
Gestern der Vater erzählt‘, mich leitet die treue Beschreibung
Sicher zum Felsen hinan, den wild umschäumet die Brandung.
Ringsum schweifet der Blick und misst mit Schaudern des Abgrunds
Tiefen. Wie! Du erbleichst? O zitt’re nicht! Um wie jene
Tief in tobender Flut den brennenden Schmerz zu versenken,
170 Dazu, ach! versagte den hohen Mut die Natur mir.
Und du täuschest mich nicht, nie hast du mir Liebe geheuchelt!
Also Likoris, ihr löst ein rasches Wort das Geheimnis
Von der geängsteten Brust, nicht länger bezähmte Diokles
Auch des eignen Gefühls allmächtig stürmende Regung,
Doe er schweigen bekämpft, wie jetzt sie seigend ihn hinriss,
Dass sein kräftiger Arm sie umschlang und sie fest an der Brust hielt.
Lauter klopften vereint und gleichen Schlages die Herzen,
Die sich sehnend so lang entgegen wallten, und höher
Hob sich der Glücklichen Brust in stummer, süßer Berauschung.
180 Aber plötzlich entwand sich dem Arm des geliebtesten Jünglings
Ängstlich die Liebende: bang aufschreiend barg sie das Antlitz
Tief in den moosichten Sitz mit bittend gefalteten Händen,
Wies den Nahenden weg, ihn mit stummen Zeichen entfernend.
Doch gesammelter stand Diokles, Mitleid und Rührung
Füllte sein liebend Gemüt, und, zart mit Sorge sich neigend,
Sprach er also zu ihr: Fasst denn die Reue so grausam
Quälend die reine Brust dir jetzo, dass ein Geständnis
Diesen Lippen entfloh, die niemals noch der Verstellung
Sprache kannten, die Herz kennt nur die Lieb‘ und die Wahrheit.
190 Sprich! Was Entzücken mir gab, erregt’s dir so bittere Schmerzen?
Nimmer wird, so lange das Leben noch währet, ein Ton mir
Mehr das Ohr erfreu’n mit schmeichelnd süßerem Wohllaut.
Aber wie ich mit dir der Liebe kurzes Entzücken
Teilte, also auch teil‘ ich den ersten, edleren Entschluss:
Meinem Worte vertrau‘. O! Weig’re nicht mir dein Anschau’n!
Fliehen doch Feinde sich nur mit scheu gehässigtem Misstrau’n!
Nicht unschuldiger Liebe geziemt es, welche der Opfer
Größtes zu bringen, wie du, sich rein entschlossen gezeiget.
Bald auf immer ja trennt das Schicksal uns, und es sondert
200 Diese Stunde, die schöne, sich ab von den jüngeren Schwestern,
Wie der hellere Stern allein am Abend heraufstrahlt.
Einmal gönne mir denn, zum letzten Male, den Blick noch,
Der, dein Herz mir enthüllend, so tief das meine bewegt hat.
Da erhob sie das Haupt und sank mit Schluchzen dem Jüngling
Stumm in den Arm, der die Zähren von schattender Wimper ihr aufküsst.
Als liebkosend er nun sie sanft getröstet, enteilt‘ er
Festen Schrittes und schnell. Es breitete weinend Likoris
Sehnende Arme nach ihm; vergebens hofft sie, so lange
Sichtbar dem liebenden Blick der Wandelnde, ob er das Haupt noch
210 Rückwärts wende, das schöne, in dessen Locken der West spielt.