Erzählformen: Das Sonett (14)

Im Traum sah ich ein Männchen klein und putzig,
Das ging auf Stelzen, Schritte ellenweit,
Trug weiße Wäsche und ein feines Kleid,
Inwendig aber war es grob und schmutzig.

Inwendig war es jämmerlich, nichtsnutzig,
Jedoch von außen voller Würdigkeit;
Von der Courage sprach es lang und breit,
Und tat sogar recht trotzig und recht stutzig.

„Und weißt du, wer das ist? Komm her und schau!“
So sprach der Traumgott, und er zeigt mir schlau
Die Bilderflut in eines Spiegels Rahmen.

Vor einem Altar stand das Männchen da,
Mein Lieb daneben, beide sprachen: Ja!
Und tausend Teufel riefen lachend: Amen!

 

Der Traum ist eine Welt eigenen Gesetzes, wer in ihr und aus ihr erzählt, muss sich an dieses Gesetz halten. Heinrich Heine bleibt in diesem, seinen „Traumbildern“ zugehörigen Sonett nah der Wirklichkeit, und auch die Sonettform vernachlässigt er nicht: Die beiden Quartette sind eng aufeinander bezogen und durch das „inwendig“ unmittelbar verbunden; die Terzette davon klar geschieden und wiederum unter sich mit unterschiedlichen Teilen der Erzählung gefüllt, wobei der nach- und eindrückliche letzte Vers einen schönen Schlusspunkt setzt. Ein feines Beispiel für das Zusammengehen von Form und Inhalt, und für das Zusammengehen von „Sonett“ und „Erzählung“ auch!