Das Beiwort im Hexameter (IV)
Was uns ein ungewöhnliches Beiwort ist, war nicht immer eins. „Fernherwandelnd“, wie bei Hölderlin, findet sich zum Beispiel auch bei Siebenpfeiffer. Bei dem geht eigentlich eher das Lämpchen „Hambacher Fest“ an; aber Hexameter hat er auch geschrieben, so diese beiden aus „Rudolph und Helmina“:
Frühe, begleitet vom Strahl der fernherwandelnden Sonne,
Stiegen die beiden hinan den sanft sich hebenden Fahrweg.
Andere „Fernher-Bildungen“ sind „fernherrauschend“, „fernherklingend“, „fernhertönend“, „fernherflüsternd“, „fernherkommend“ – oder „fernherschreitend“, was ich eben in „Der verlorene Sohn“, einer „epischen Schilderung“ nach biblischem Vorbild von einem Pfarrer namens Trautschold, gelesen habe:
Liebe zum Leben, du tief im Herzen verschlossener Funken,
Wunderbarer und mächtiger Trieb: Wie flammest du hoch auf,
Wenn das Verderben, das grässliche, fernherschreitend uns nachsetzt!
Neben Hölderin ist mir aber in dieser Hinsicht vor allem Voss im Ohr (Aus „An Friedrich Leopold, Grafen zu Stolberg“):
Allda ruht‘ ich vom sinnenden Gang‘, am beschatteten Bergquell,
Horchend der lockenden Wachtel im grünlichen Rauche der Ähren,
Und dem Wogengeräusch, und dem fernhersäuselnden Südwind.
Und da gibt es noch Dutzende Bildungen, von denen ich nichts weiß … Wie sieht es denn mit „fernhinwandeln“ aus? Wo ein „her“ ist, ist auch ein „hin“:
Nicht ist es unser Geschenk, was der fernhinwandelnden Erde
Wir zu göttlichem Trost bringen aus himmlischem Land!
Das ist nun allerdings ein Distichon, aus Mosengeils „Dichterweihe“. Womit wir aber einen Schritt näher sind an der Quelle solcher Beiwörter: Homer, beziehungsweise seiner Übersetzung durch Voss. Aus der Ilias:
Doch du weidetest, Phöbos, das schwerhinwandelnde Hornvieh
Durch die waldigen Krümmen des vielgewundenen Ida.
Und dieses „schwerhinwandelnde Hornvieh“ hat dann durchaus Karriere gemacht …