Erzählverse: Der Hexameter (190)

Je bewusster man sich der verschiedenen im Hexameter – und das meint vor allem: im antikisierenden Hexameter! – möglichen Wortfüße ist, desto abwechslungsreicher und damit anziehender gestalten sich beim Schreiben die eigenen Verse. Ich stelle daher in lockerer Folge einige dieser Wortfüße vor – den Anfang macht der Mesomacer, also die Silbenfolge „Leicht-Leicht-Schwer-Leicht-Leicht“, in der metrischen Schreibweise:

◡ ◡ — ◡ ◡.

Klopstock hat diesen Wortfuß in seiner 32 Wortfüße umfassenden und nach der Wirkung der Füße – „Sanftes“, „Starkes“, „Munteres“, „Heftiges“, „Ernstvolles“, „Feierliches“, „Unruhiges“ – geordneten Wortfußliste unter „Munteres“ aufgeführt; diesen Eindruck kann man teilen oder nicht, sicher ist, dass die vier leichten Silben etwas flüchtiges bewirken, der gesamte Wortfuß also Leichtigkeit und Schnelligkeit vermittelt. Allerdings ist er dadurch dem Ohr auch wenig eindrücklich! Oft findet man diese Silbenfolge in der Zusammensetzung „Artikel + Adjektiv“ verwirklicht, so zum Beispiel im folgenden Vers aus dem ersten Gesang der „Gesundbrunnen“ von Neubeck:

Alles erhöhte die Feierlichkeit des bezaubernden Anblicks.

„Des bezaubernden“ ist der Mesomacer. Er wird hier aber nicht recht hörbar, weil das Adjektiv nicht eigenständig ist, sondern Bezug nimmt auf das folgende Substantiv, und das meint immer: auch rhythmischen Bezug. (Hinzu kommt hier, dass der „Absprungspunkt“, die vorhergehende schwere Silbe, recht unscheinbar ist!)

Stärker tritt der Mesomacer hervor, wenn er ein eigenständiges Satzglied bildet:

Doch du könntest vielleicht die Gesinnungen ändern in Zukunft, (Neuffer, Hilkar 1,119)

„Die Gesinnungen“ sind der Mesomacer, der als Objekt hier schon vernehmbarer ist!

Die du herab auf den Pfad des Verwegenen blickst mit der Unschuld (Baggesen, Parthenais 10,88)

Das gilt, wie hier erkennbar, auch für ein Genitiv-Attribut wie „des Verwegenen“.

Satzpausen am Anfang und am Ende des Wortfußes helfen, den Mesomacer hörbar zu machen:

Wehe, was soll mir geschehn! O Schande doch, wenn ich entflöhe,
Fort durch die Menge geschreckt! Doch entsetzlicher, wenn sie mich fingen,
Denn die anderen der Danaer scheuchte Kronion!


– Homer, Ilias 11,404ff; übersetzt von Voß. Der Mesomacer „Doch entsetzlicher“ ist deutlich wahrnehmbar und prägt sich ein!

Am deutlichsten vernehmbar, und damit als Gestaltungsmittelam nachdrücklichsten nutzbar, wird der Mesomacer aber, wenn er zusätzlich nachgestellt, was meint: vereinzelt, aus dem Satzgefüge gelöst wird! Noch einmal Baggesen, kurz vor der genanneten Stelle (10,74f):

Jetzt bei der Öffnung, durch welche nicht Schloss noch Riegel den Eingang
Wehrte, die leicht nur ein Heck, ein geflochtenes, gitterte, weilt‘ er,


Hier ist „ein geflochtenes“ deutlich hörbar und hat damit gewichtigen Anteil an der rhythmischen Gestaltung des Verses! Zusätzlich lenkt diese Vereinzelung den Blick auch inhaltlich schärfer auf die „Dinge an sich“, losgelöst aus den gewohnten Beziehungsmustern. Beispiele dafür finden sich bei den unterschiedlichsten Verfassern:

Und sie lächelten sanft, die beweglichen, nickten dem Alten
Freundlich und gossen umher verschwenderisch Leben und Licht aus,
Dass kein Mensch es ertrüg‘, und dass es die Götter entzückte.


– Sagt Goethe in der „Achilleis“ (90ff) über die Horen, „die beweglichen“. Den so genutzten Mesomacer in den eigenen Hexametern zu verwenden, kann schöne Wirkung haben – man sollte es auf jeden Fall auf einen Versuch ankommen lassen!

Zm Schluss noch ein kurzer Blick über den Hexameter hinaus – der Mesomacer findet sich ja auch anderswo!

In „Der zürnende Jüngling“ – verwendet Johann Heinrich Voß einen aus vier steigenden Ionikern gebildeten Vers, in dem der dritte Ionikus regelmäßig durch einen Mesomacer ersetzt ist („Auflösung der zweiten Länge in zwei Kürzen“ nach antikem Vorbild):

◡ ◡ — —, ◡ ◡ — —, ◡ ◡ — ◡ ◡, ◡ ◡ — —

So entfleuch denn, o du Jungfrau, die so freundliche Melodie singt,

Das hat Wirkung, und eine ganz eigene, vom Hexameter verschiedene, in dem eine Folge von vier „leichten“ Silben ja nicht möglich ist!

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