Erzählformen: Das Distichon (5)

Friedrich Hebbels Distichen gefallen mir sehr gut! Vor allem seine Einzeldistichen, in denen er einen Gedanken scharf fasst und auf den Punkt bringt, dabei unterstützt von einer klaren, schnörkellosen Sprache. Seine aus mehreren Distichen bestehenden Stücke sind manchmal sehr gut, manchmal nicht so toll; und gut immer da, wo Hebbel die Sprache strömen lässt, soll heißen: Einen Satz durch vier oder sogar durch sechs Langverse führt!

Ich stelle später noch einen solchen Text vor; hier folgt aber erst einmal ein eher unauffälliger, der dafür leistet, was eine „Erzählform“ zuallererst leisten muss: Anschaulichkeit.

 

La chiesa sotterranea die Capucini a Roma

Menschengebeine hat man zu Sternen und Blumen verflochten,
Von der farbigen Wand grinsen sie zierlich herab;
Aufgestapelte Schädel umstehn in geordneten Reihen
Dämmernde Nischen, worin manches Gerippe sich streckt,
Wie im Leben, bekleidet mit bräunlicher Kutte, ein Täflein
In der knöchernen Hand, welches das Sterbejahr nennt,
Und dein Führer, ein Mönch, wie diese Toten es waren,
Sagt dir lächelnd: dereinst werde ich ruhen, wie sie!
Aber Italiens Sonne bestrahlt durch niedrige Fenster
All den Moder, und sanft plätschert ein Springbrunn im Hof.

 

Die Sprache klingt nicht übermäßig gestaltet, fast scheint es rhythmische Prosa zu sein; das erreicht Hebbel auch durch so unscheinbare zweisilbige Eingangs-Einheiten wie „Von der“, „Wie im“, „In der“, „Und dein“, „All den“. Eigentlich nimmt er den Versen dadurch Ausdrucksmöglichkeiten (wenn die Eingangseinheit zweisilbig ist, macht es sich gut, wenn dann wenigstens die betonte Silbe auch „Gewicht“ hat; also zumindest eine Sinn-Silbe ist), aber am Ende passt es doch ganz gut zu dem allgemein unaufgeregten Ton der Verse?!

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