Franz von Sonnenbergs „Donatoa“
Hier ist mir alles ein Rätsel – Sonnenberg als Mensch ist ein Rätsel, sein „Donatoa“ ist ein bändelanges hexametrisches Rätsel, und das, was Zeitgenossen und Nachwelt über beide geschrieben haben, ist erst recht ein Rätsel. So urteilt etwa das „Damen Conversationslexikon“ 1837 über Sonnenberg:
Sonnenberg, Franz von, Franz Anton Joseph Ignaz Maria, Freiherr von, einer der glücklichsten Nacheiferer Klopstocks, obwohl er zu jung endete und zu ungestüm bildete und schuf, um allseitig erstarken und zur Harmonie gelangen zu können: – eine wehmüthig-säuselnde, aber stolzgewachsene Weimuthssichte unter Myrthengebüsch in der Mitte des Libanons, während auf dem Scheitel des heiligen Berges der Messiassänger als majestätische Zeder thront. 1779 zu Münster in Westphalen geb., entwarf er schon auf dem Gymnasium nach Klopstocks Messiade den Plan zu dem Epos: „das Weltende,“ – ein glühender Orkan aus wildbewegter Jugendbrust, fessellosstürmend, zerstörungslustig, mit himmelanstrebenden Fittigen einherbrausend, ohne das linde Säuseln des stillwaltenden Genius, ohne den sanften Hauch harmonischer Ruhe, ohne das milde Wehen des Friedens, wie er herüberflüstert aus Abendglocken und ruhenden Wäldern, aus Wiegenliedern und Küssen der Mutter. Dem Wunsche der Seinen gemäß widmete er sich dem Studium der Rechte, bereiste dann Deutschland, die Schweiz und Frankreich, und lebte nach seiner Rückkehr abwechselnd in Jena und in dem nahgelegenen Drakendorf. Hier war es, wo er sich allen körperlichen Entbehrungen unterwarf, um rastlos an seinem zweiten Epos: „Donatoa“ zu arbeiten, durch diese Überspannung aller seiner Kräfte aber in Apathie und tiefe Schwermut verfiel. Am 22. Nov. 1805 endete er freiwillig durch einen Sturz aus einem Fenster in Jena. Erst nach seinem Tode erschien seine „Donatoa“ (Halle 1806, 2 Bde.), ein erhabenes Gedicht von dem Untergange der Welt, welches schmerzlich bedauern lässt, dass die reiche Welt des jungen Dichters so früh schon unterging. Seine übrigen „Gedichte“ erschienen 1809 zu Rudolstadt.
Wohlgemerkt: Das ist ein Lexikon … Aber was um alles in der Welt ist eine „Weimuthssichte“? Also eine ganz normale jetzt, keine wehmütig-säuselnde …
Mit der Einschätzung der Werke Sonnenbergs liegt der Verfasser aber nicht so falsch. Ein knapper Ausschnitt aus Donatoa“, gleich vom Anfang – „Der Schutzgeist der Erde beklagt ihren Untergang“:
Dunkel, wie dunkel es dort auf den Wogen, und fern in den Tälern
Flammen wehn, Tod! rufet der Donner, wie wirrt es so rot sich,
Wirrt sichs im Dunkel so weiß! Die Kinder Gottes, sie töten
Wütend einander, sie wagten es nicht einschlummernd vor Schwäche,
Weh, sie ermutigten erst sich durch Mahl, um töten zu können.
Menschengeschlecht! Dein Abend ist da, stets düsterer steigt es,
Der aus der Unterwelt, drängt deine sanfteren Führer,
Drängt sie immer ferner von dir, du hörest, mein Schutzkind!
Meine Stimme nicht mehr, nicht deiner liebenden Schützer
Zärtliche Klag‘, ihr Bitten nicht mehr, wir sind dir umsonst da!
O-ha … Aber man sieht, das „zu ungestüme Bilden und Schaffen“ war keine so ganz falsche Beschreibung?! Dabei ist es nicht so, dass Sonnenberg nicht geradeaus hätte schreiben können – in seinen anderen Gedichten klappt das sehr gut, und auch hier sind ja, im Gegensatz zur Syntax, die Hexameter von feinstem Bau.
Trotzdem braucht es schon eine ganz eigene Geisteshaltung, sich auf derlei einzulassen, denke ich. Goethe zum Beispiel fehlte sie – Sonnenberg las ihm zwar aus „Donatoa“ vor, doch Goethe war ganz und gar nicht angetan. Ich lasse es zum Schluss, wie am Anfang, einen Lexikoneintrag sagen, diesmal aus „Herders Conversations-Lexikon“ von 1857:
Sonnenberg, Franz Ant. Jos. Ign. Maria von, epischer Dichter und ein Nachahmer Klopstocks, geb. 1779 zu Münster, gest. 1805 zu Jena durch einen Sturz aus dem Fenster, besang das Weltgericht in 12 Gesängen in dem Gedichte „Donatoa“ (Rudolst. 1806), wovon Goethe sagte, dasselbe offenbare eine „physisch glühende Natur, mit einer gewissen Einbildungskraft begabt, die aber ganz in hohlen Räumen sich erging“; mancher Leser des Donatoa möchte solch Urteil doch etwas zu herb finden.
Zu herb? Vielleicht. Nachvollziehbar aber allemal!