Erzählverse: Der Hexameter (32)

Hexameter von Rudolf Borchardt

Rudolf Borchardts Gedichte schauen nach hinten, in die Vergangenheit; Der 1877 geborene Dichter suchte und fand immer eine Anbindung an die europäische Bildungs- und Dichtungstradition. So lesen sich dann auch seine Hexameter-Stücke, es gibt viel antik-mythologisches zu bestaunen, und es schadet nichts, ein wenig Bildung mitzubringen. Aber auch in der Form macht es Borchardt seinen Lesern nicht immer leicht – Wortwahl, Satzbau, alles mitunter schwierig und gewöhnungbedürftig. Die folgenden zwei Verse mögen das veranschaulichen:

 

Dass mich ein Aug, wie andere Bräutliche, dass mich ein Schrei doch,
Wild und ein süßer, ein einfacher hätte, ein selger getroffen

 

Aber andererseits – lässt man sich ein und liest notfalls drei- viermal, entwickeln die Verse schnell einen gewaltigen Sog. Bei diesen beiden ging es mir jedenfalls so!

Sie stammen aus der „Klage der Daphne“ (Zu finden in Rudolf Borchardt, Gedichte, Klett-Cotta 1957, S. 180 – 185), in der geklagt wird natürlich über Apollo; an einer Stelle begegnet dieser dabei Hermes:

 

Nebeneinander, Entsetzliche, standet ihr, größer, als wir sind,
Harte Gewältiger, gleißender Haut, mit lachenden Zähnen
Zwischen dem schwelgenden Munde, Verzehrende, Flammengeschwister,
Und ihr beredetet euch, über mich, in eigener Sprache.
Furchtbar müssen sie sein so wie ihr, euch willige Bräute,
Große und lachende Mädchen des Zufalls, brennende Dirnen
Ohne ein Herz in Brüsten, in deren vergessende Arme
Und in den Schoß ihr Brennende fahrt zu gewitternder Hochzeit.

 

Lest das doch einfach mal jemandem vor (ein- oder zweimaliges Üben zuvor schadet nicht) – meiner Erfahrung nach erntet man da, äh, interessante Reaktionen …

Dabei ist das noch recht einfach gestaltet und die „Klage“ selbst im Vergleich auch. In „Der ruhende Herakles“ (S. 539 – 560) gibt es ganze Abschnitte, die so seltsam verschachtelt sind, dass man beim ersten Lesen kein einziges Wort versteht … Aber auch daraus gebe ich ein halbwegs verständliches Beispiel. Herkules unterhält sich mit einem Landmann, als der den etwas verwunderlichen Vers spricht:

 

Aber gebeten sein und bedankt sein wollen wir Mädchen.

 

Die Auflösung folgt aber gleich im nächsten Vers – in Wirklichkeit ist der „Landmann“ Athene, und die lässt nun die Verkleidung fallen:

 

Sprachs, und wie aus Neblichem her der unsterbliche Berg ahnt
Erst noch ein Schatte und dann schon gewiss und endlich und gänzlich
Über dem niedergeflossenen Tau der Begeisterte aufsteht:
Also zerliefs am Stecken und schwebte zu Golde der Speer auf –
Hinter der Hundschnur dämmert‘ es groß und umblaute die Ägis
Reglose Brüste, und unter und über dem Goldhaar, heilig
Strömte der Bann, der Gorgo Blick und das einsame Lächeln.

 

Hui. Das muss man nicht mögen, aber eine gewisse Anziehungskraft kann man derlei Versen und Inhalten eigentlich kaum absprechen?!

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