Über den Vers sollte in den bisherigen Folgen alles Grundlegende gesagt sein. Ich springe daher noch mal zurück an den Anfang; zu den Sinneinheiten, aus denen sich der Vers aufbaut. Eine grundlegende Frage ist da die nach „Wiederholung und Abwandlung“.
„Wiederholung“ meint die erneute Nutzung einer schon verwendeten rhythmischen Einheit; das verstärkt die Wirkung der Einheit, birgt aber die Gefahr, dass das Ohr vom „immer gleichen“ auch gelangweilt wird, dass die Aufmerksamkeit nachlässt. „Abwandlung“ meint die Nutzung einer bisher noch nicht verwendeten rhythmischen Einheit; das erfreut das Ohr, weil es Neues zu hören bekommt, schwächt aber den Eindruck von Geschlossenheit, den ein Vers, ein Text haben sollte.
Die Wahrheit liegt wie üblich in der Mitte, und die Kunst besteht darin, „Wiederholung“ und „Abwechslung“ in Einklang zu bringen!
Als Beispiel für die verstärkende Kraft der Wiederholung möchte ich hier zwei kurze Gedichte von Toyotama Tsuno vorstellen, übersetzt von Manfred Hausmann und zu finden in „Japanische Lyrik“, Arche 1974, auf Seite 103; geradwegs untereinander.
Als heute Nacht
deine Hand nach mir suchte,
dachte ich, du seist wach.
Es geschah aber im Schlaf.
Doppeltes Glück.
Worum es mir geht, ist die Schlusszeile. Von der Bewegung her ist das ein TAMtataTAM, und das ist, wie schon erwähnt, eine der deutlichsten Bewegungen, die es im Deutschen gibt; und so schließt sie hier das Gedicht auch klar und nachdrücklich. Im Vergleich dazu nun das zweite Gedicht:
Der Ton der Tempelglocke
von jenseits der Bucht:
dass er verklingt, macht ihn so schön.
Hier steht in der Schlusszeile das TAMtataTAM zweimal, und die Wirkung verstärkt sich durch die Wiederholung beträchtlich, der Schluss wirkt sehr bestimmt und überzeugend; so, als könne das Gedicht hier nur zu Ende sein!
Eigentlich ist diese Bewegung sogar dreimal zu hören, ansatzweise zumindest; denn das „von jenseits der Bucht“ der zweiten Zeile unterscheidet sich ja nur durch das lose vorangestellte „von“, so dass „jeseits der Bucht“, TAMtataTAM, zumindestens anklingt?!
Auf jeden Fall zeigen solche Beispiele, dass es auch in nichtmetrischen Gedichten lohnt, über Versbewegung nachzudenken.
(„Japanische Lyrik ist übrigens ein schöner Band; mit einem schönen Nachwort von Manfred Hausmann, auch. Das neue „Das Wort“ stammt daraus.)