Erzählverse: Der Blankvers (28)

„Die letzte Kornblume“ von Klabund ist nicht wirklich ein Frühlingsgedicht; aber hier geht es ja auch mehr um die gewählte Form. Und da zeigt sich, es ist keines jener Blankvers-Gedichte, die den Vers durchgängig umsetzen; vielmehr beginnt der Text mit vier gewöhnlichen Blankversen, um dann, mit dem dem „plötzlich“ des fünften Verses, der ein Vierheber ist, vom Blankvers „plötzlich“ nichts mehr wissen zu wollen: Der sechste Vers ist zwar ein Fünfheber, doch mit doppeltem Auftakt; und dann folgen ein Siebenheber, ein Sechsheber und ein Dreiheber, ehe der Text wieder in  den Blankvers zurückfällt und ihn auch durchhält, mit Freiheiten, die das übliche Maß nicht überschreiten. Nur der „Sensenmann“ bekommt noch einen hervorgehobenen, einen vierhebigen Vers!

 

Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld.
Es war gemäht. Die Ähren eingefahren.
Die braunen Stoppeln stachen in die Luft,
Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert.
Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie
Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers.
Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten
(Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume…)
Dachten ganz das gleiche:
Du bist die letzte Blüte dieses Sommers,
Du blühst, von lauter totem Gras umgeben.
Dich hat der Sensenmann verschont,
Damit ein letzter lauer Blütenduft
Über die abgestorbene Erde wehe —
Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume.
Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln:
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich … nicht. —
Die blauen Blütenfetzen flatterten
Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln.
Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau,
Der kühl und silbern auf die Felder fiel
Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet.

 

Inwieweit das alles dem Inhalt dient, ist mir nicht gänzlich klar?! Aber genug, zu sehen, wie der Blankvers hier sich verwirklicht, dort als mitgehörte Bezugsgröße sich bewährt und dem Text eine schöne Lebendigkeit sichert. Braune Stoppeln und Blankverse an Anfang und Ende, und dazwischen einige Lockerungen …

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