Bücher zum Vers (29)

Günter Häntzschel:
Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung.

Ein bis an den Rand mit wissenswertem gefülltes Buch, finde ich. Den Anfang macht eine Beschreibung der vor Voß liegenden Versuche der Homer-Übersetzung; daran schließt sich eine Beschreibung der Homer-Vorstellung von Voß an sowie eine Beschreibung seiner Hexameter-Auffassung.

Der für mich lesenswerteste Teil ist dann der dritte, „Charakteristika der Voß’schen Übersetzersprache“, in dem „Metrische Analysen“, „Grammatikalisch-stilistische Analysen“ und Wortschatzanalysen“ einen tiefen Blick in die Übersetzungstechnich von Voß erlauben, und auch vieles bedenkenswerte über den Hexameter vermitteln.

Abschließend wird dann Voß‘ Übersetzung noch historisch eingeordnet und ein Überblick über ihre Aufnahme gegeben, ehe zum Schluss auf ihr Weiterleben und -wirken eingegangen wird. Wie gesagt: Viel Lese- und Denkstoff!

Wer also schon immer wissen wollte, wie Voss zu der oft fremd wirkenden Gestalt seiner Verse kam, oder sich ein lebendiges Bild über den qualitativen Genitiv machen möchte wie etwa in:

 

Rings nun setzten sich all‘ in Ordnungen, dort wo sich jeder
Rosse gehobenen Hufs, und gebildete Waffen gereihet

 

– hier ist er richtig. Zu diesen beiden Versen merkt Häntzschel auf S. 120 an, in Bezug auf A. W. Schlegels Kritik an dieser Art Genitiv:

Man könne allenfalls die Rosse laufen gehobenen Hufes sagen, dürfe jedoch bei der Erwähnung ihrer bloßen Eigenschaft auf ein Präpositionalgefüge, ‚Rosse mit gehobenem Hufe‘, nicht verzichten. Der rationalistische Einwand, dass hier überdies die stillstehenden Rosse ihre Hufe ja tatsächlich gar nicht heben, dass es sich vielmehr nur grundsätzlich um ’schnelle Rosse‘ handele, zeugt von dem hohen Abstraktionsgrad der deutschen Sprache, deren Normen die Rezensenten respektieren, während es Voß im Gegensatz zu ihnen darum zu tun ist, sie zu sprengen. Wenn Voß nämlich den ‚fertigen‘ Begriff ’schnelle Rosse‘ vermeidet und analog dem sinnlichen Prinzip der griechischen Sprache die Schnelligkeit in einem anschaulichen Bild vermittelt, das aus der Bewegung der Rosse gewonnen ist, bei der diese tatsächlich ‚die Hufe hebend‘, also „gehobenen Hufs“ sichtbar sind, und wenn er dieses Bild dann auf ihre Eigenschaft überträgt, so leitet ihn wieder die Intention, die abstrakte Sprache zu verjüngen; statt des begrifflichen Resultats (’schnell‘) greift Voss auf die von solcher Abstraktion noch freie konkrete Ursache („gehobenen Hufs“) zurück, die erst im Nachhinein zu jenem Resultat führt.

Vielleicht  „gewaltsam“, aber wirkungsvoll versucht Voß,

die im Zeitalter der Ratio verlorengegangene Ursprünglichkeit früherer Kulturen, ihren sinnlichen Aussagewert, wiederherzustellen.

Ob das sinnvoll ist, wie es erreicht werden kann – auch alles das verhandelt dieses 1977 bei Beck erschienene Buch.

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