Die Bewegungsschule (20)

Ich möchte diesmal einen genaueren Blick werfen auf diese Bewegungseinheit: „ta TAM TAM„. Oder, je nachdem: „ta TAM TAM“. Auf jeden Fall besteht die Einheit aus einer unbetonten, leichten Silbe, der zwei schwere Silben folgen; dabei tragen entweder beide gleichviel Betonung oder die erste ist etwas stärker betont als die zweite – wobei die zweite aber immer noch deutlich stärker betont ist als eine leichte Silbe!

Welche Art man bevorzugt, und ob man vielleicht im Vortrag etwas angleicht, das muss jeder selbst wissen. „Die Schrankwand“ ist ein klein wenig in Richtung „ta TAM TAM“ verschoben, „der Wandschrank“ ist eher „ta TAM TAM„. Wie immer gilt: möglichst viele dieser Einheiten finden, sie sprechen und dann einschätzen!

Als Anregung lasse ich ein Gedicht von Franz Werfel folgen, „Stufenleiter“ (zu finden in: Franz Werfel, Gesammelte Werke / Das lyrische Werk, Fischer 1967, Seite 280, 281):

 

Ich bin vornehm, sagt der See,
Ich steh‘ still.
Doch unedel bist du, Fluss,
Du fließt irr!

Fließe ich, so fließe ich
Doch vorwärts.
Edler Steher, stehst dich ab
Zum Sumpf einst.

Rollt das Meer aus seiner Tiefe:
Kruppzeug!
Fälschen ihre Ohnmacht um
Zum Wert gern.

Kannst du fließen, See? Und du,
Fluss, stillstehn?
Also ist dein Adel Neid, dein Fernlauf
Knechtschaft!

Ich nur fließe, Pack, und ich nur
Steh‘ fest.
Tief aus mir allein wächst Flut,
Wächst Stillstand!

Bricht ein Sturm aus: Lügnerin
Atlantis!
Wer bewegt dich, sag’s mir, wer
Entlässt dich?

Nur mein Wille. der dich stillt,
Dich toll macht.
Ich allein bin einig, und mein Wort
Ist: Frei sein!

Singt ein Stern: Du Sturm bist meiner
Herkunft.
Erzgeheim erreget dich
Mein Einfluss.

Ruhe bin ich und mich meidet
Maßlust.
Denn ich weiß, mein hoher Wert
Ist unmein.

Was an mir geschieht, heißt Licht.
Ihr teilt es.
Preiset drum das erste Wort
Des Urmunds.

 

Ich bin nicht wirklich sicher, was den Wert dieser Verse angeht; aber zum Nachdenken über die Bewegungseinheiten laden sie geradezu ein!

In den geraden Zeilen stellt sich die Frage: „ta TAM TAM„, „ta TAM TAM“, „ta TAM ta“ – was ist es?

„Zum Sumpf einst“ zum Beispiel ist, langsam gesprochen (was nicht schwerfällt, der ganze Text liest sich wie in Zeitlupe), für mich ein „ta TAM TAM„.

„Du fließt irr“ gehört zu „ta TAM TAM“, nein?!

„Ihr teilt es“ ist eindeutig „ta TAM ta“.

Diesen Einheiten hinterherzuhören, ist schon nicht einfach und braucht etwas; aber der Text hat noch einiges mehr zu bieten!

Da sind zum einen einige schöne „TAM ta TAM„: „sagt der See“, „Rollt das Meer“, „Singt ein Stern“.

Aber auch Folgen aus drei schweren Silben sind vertreten: „Fluss, stillstehn“.

Und was ist hiervon zu halten? „allein wächst Flut, // Wächst Stillstand!“ Das sind, streng genommen, sechs schwere Silben hintereinander weg … Wie trägt man das vor?

Also, ein Text, der Fragen aufwirft in Bezug auf die Versbewegung. Ich glaube, es lohnt sich, ihnen nachzugehen! Und manchmal gibt es ja auch ganz selbstverständliche, aber nichtsdestotrotz sehr wirksame Dinge zu bestaunen wie diesen Vers:

Rollt das Meer aus seiner Tiefe

– Da entsprechen sich Bewegung und Inhalt sehr eindrücklich.

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