Udo Pillokat: Verskunstprobleme bei Eduard Mörike
Mörikes Verse sind … gut. Wirklich gut! Und wenn da jemand drüber schreibt, sollte man es zur Kenntnis nehmen. Erst recht, da Pillokat vieles bedenkenswerte sammelt. Der erste Teil des 1969 bei Buske erschienenen Bandes beschäftigt sich mit Mörikes Madrigalen und freien Rhythmen; der zweite mit seinen Hexametern und Distichen; auf beides wird in den über 200 Seiten des Buches ausführlich eingegangen. Ich stelle hier als Beispiel für die verhandelten Texte das zu Mörikes Lebzeiten unveröffentlicht gebliebene „Rotkäppchen und Wolf“ vor, ein Erzähltext, wie für den „Verserzähler“ gemacht. Die erste Hälfte liest sich so:
Wir sind Geister, kleine Elfen,
Und wir müssen jetzo helfen,
Dass ein armes Menschenkind
Guten Schlaf im Walde findt.
Ein böser Wolf hats totgemacht
Und ist dafür auch umgebracht,
Aber wir tragen
Und wir begraben
Allhier in schöner Nacht
Allhier im Mondenscheine
Ach seine weißen Beine
Und seine lieben Hände
Und sein rot Mützchen auch;
Alles andre hat der Wolf im Bauch.
Horch, wie ist der Wald so still!
Die Vöglein schweigen alle,
Und auch die Nachtigalle
Heut gar nicht singen will;
Rotkäppchen ist tot,
Ist tot, ist tot,
Und alles hat ein Ende,
In der Bahre liegen blutigrot
Seine weißen Füße und Hände.
Bald aber – liebe Schwestern, freuet euch! –
Wird dieses Kind uns allen gleich.
Es windet sich aus feuchtem Moos
Mit frischen Elfengliedern los,
Dann wiegt es sich im schwanken Mondenstrahl
Auf Blumen und auf Halmen
Und tanzt durch Wald und Wiesental.
Sich hier hineinzuhören lohnt wirklich. Schon, weil das Madrigal eine der Möglichkeiten sein dürfte, Reimverse im 21. Jahrhundert anbieten zu können. Jedenfalls eher als über kreuzgereimte Vierheberstrophen …