Alexander Nitzberg: Lyrikbaukasten. Wie man ein Gedicht macht.
Dieses 2006 bei DuMont erschienene Werk ist ein Lehrbuch des Gedichtemachens. Allerdings keiner dieser herzlich überflüssigen Ratgeber, die vermitteln, wie man das nächst anstehende Geburtstags- oder Hochzeitsgedicht zusammenschustert, sondern ein ernsthafter Versuch, dem Leser durch Erklärungen und Übungen die Produktion moderner Lyrik zu ermöglichen.
Die Kapitel lauten: Die Sprache der Lyrik, Phonetik, Stilistik, Tropik, Komposition, Die Rezitation, Der Dichter.
Daraus kann man ja vielleicht schon ersehen, dass Reim, festes Metrum etc hier zwar auch verkommen, aber nur eine Nebenrolle spielen. Insgesamt ein Werk, aus dem alle noch etwas mitnehmen können, die schon länger schreiben – wenn nicht inhatlich, so doch auf jeden Fall durch Nachdenken über die von Nitzberg formulierten Thesen. Man muss nicht allem zustimmen (ich persönlich mache es bestimmt nicht), aber bedenkenswert ist eigentlich alles.
Ich gebe ein Beispiel aus dem Kapitel Tropik. Nitzberg sagt über das Bild: Bilder müssen um jeden Preis sichtbar sein und gibt davon ausgehend dann zehn Eigenschaften, die ein (lyrisches) Bild aufweisen sollte:
1. Ein Bild muss konkret sein. Abstrakt und sichtbar geht nicht.
2. Ein Bild muss positiv sein. Was es nicht gibt, kann nicht gesehen werden.
3. Ein Bild muss in sich geschlossen sein. Es erschafft seine eigene Realität.
4. Ein Bild muss schlicht sein. Das Auge braucht Überschaubarkeit.
5. Ein Bild muss logisch sein. Nicht „alltags-logisch“, sondern „augen-logisch“.
6. Ein Bild muss unmittelbar sein. Es spricht aus sich selbst, braucht keinen Kommentar.
7. Ein Bild muss statisch sein. Auch gemalte Bilder bewegen sich nicht.
8. Ein Bild muss glaubwürdig sein. Die Notwendigkeit, „im Bild“ zu bleiben.
9. Ein Bild muss faszinierend sein. Das Staunen des Dichters muss das des Lesers werden.
10. Ein Bild muss außerordentlich sein. Keine Klischees ohne visuelle Ausstrahlung.
Nitzberg erläutert diese zehn Punkte natürlich viel ausführlicher, oft über eine Seite oder mehr, stets mit guten Argumenten. Manchem der zehn Punkte wird man sofort zustimmen, andere reizen zum Widerspruch: Muss ein Bild wirklich statisch sein? Sind verneinende Bilder wirklich gefährlich? Aber wie oben gesagt …
Also, wer den Band in die Hand bekommt, sollte hineinsehen; ich denke, die Zeit ist nicht vertan.