Anton Wildgans‘ „Kirbisch“
Geschrieben zwischen 1925 und 1927 ist „Kirbisch“, wie Gerhart Hauptmanns „Till“ auch, ein Epos, das um den Ersten Weltkrieg kreist, gut erkennbar daran, dass die im Epos ertönenden Donner nicht wie bei dem hier im Verserzähler ja auch schon vertretenen Paul Heyse von einem Gewitter herrühren, sondern von einem in die Luft gehenden Munitionsdepot:
Da aber, was war das?! Auf einmal wankte die Erde:
Ungeheurer Donner! Und wieder Erschüttern! Und wieder
Ganze Kaskaden von Donnern! Von wannen? Von unten? Von oben?
Und der Himmel war rot und die Dächer schwarze, geduckte
Rücken wider die Röte! Da bebte von neuem der Grund und –
Irgendwoher aus der Tiefe, als berste die Erde im Kerne! –
Wieder betäubender Krach! Da fiel in der Stille, die folgte,
Alles Volk auf die Knie in fahlem Entsetzen, und plötzlich
Wimmerte wo in der Ferne, vom Ende des Dorfs, eine Stimme,
Wuchs und ward zum Gezeter des Wahnsinns. …
Etwas unordentliche Hexameter, das. Aber ein Ereignis wie das geschilderte schüttelt wahrscheinlich auch einen Vers ordentlich durch! Und außerdem sind die Hexameter des 20. Jahrhunderts ja allgemein ein wenig freier, rauer, ruppiger – hier etwa erkennbar an daktylischen Einheiten wie „Da aber“, die wäre einem klassischen Verfasser nie aus der Feder geflossen! Und Reime wie „Grund und“ auch nicht…
Es gibt selbstredend auch Stellen, in denen die klassische Hexameter-Idylle anklingt:
Cordula hatte die Blumen der greisen Köchin des Pfarrers
Selbst in die Küche gebracht, die dürstenden Stengel in Wasser
Sorglich noch eingefrischt und dann von der freundlichen Alten
Eilig Urlaub genommen. Die Stunde, die sie noch frei war,
Wollte sie lieber allein sein. So ließ sie den Armen im Geiste
Gerne im Pfarrhof zurück, von dem Mütterchen liebreich bewirtet,
Wünschte gesegnete Mahlzeit und trat hinaus in den Abend.
Mit dem „Armen im Geiste“ ist der Dorftrottel gemeint, der dem Pfarrer zur Hand geht. Dieser Ton wird aber unterbrochen durch Abschnitte, die klarmachen, dass noch einiges folgen wird, der Ton umschlagen wird. Während der Gemeinderatssitzung im Gasthaus etwa sitzt ein Mann – „seit vier Tagen“ – zusammengesunken am Tisch, vom Wirt geduldet,
Denn obwohl doch ein Gasthaus gewiß nicht der Ort ist, um, ohne
Irgendwie Zeche zu machen, vornüber am Tische zu lümmeln,
Ließ er den Glaser gewähren aus menschlichen Gründen und andern.
War doch des Wirtes Herr Sohn, Andreas, ein Bär an Gesundheit,
Immer noch kriegsdienstbefreit und weitab vom Schusse geblieben,
Während Crinis, der Glaser, zu Ende der vorigen Woche
Amtlich verständigt wurde (per Feldpost, portofrei, dienstlich),
Dass die beiden Gefreiten Crinis Matthias und Josef
Bei dem nämlichen Angriff am Vierzehnten laufenden Monats
Auf dem Felde der Ehre den Tod für das Vaterland starben.
Folgte dann noch die Stampiglie „Zwölftes Brigadekommando“
Und als Beilage a) und b), gewickelt in einen
Viertelsbogen Konzept, zwei Silbermedaillen; und dies war
Alles, was Crinis, dem Glaser, von seinen Söhnen geblieben.
„Stampiglie“, „Stempel(aufdruck)“, ist österreichisch!? Jedenfalls klingt hier doch schon ein gewisser satirischer Ton durch … Insgesamt ein durchaus zu empfehlendes Epos!