Friedrich Gottlieb Klopstocks „Der doppelte Mitausdruck“
Klopstock hat sich über seine Vorstellungen von Dichtung auch dichterisch geäußert, oft in der Gestalt von Epigrammen. „Der doppelte Mitausdruck“ ist ein solches Epigramm! Es ist kurz, vier Verse nur, und besteht durchgängig aus Hexametern – erstaunlich eigentlich, üblicher wäre da doch ein doppeltes Distichon gewesen?! Hier jedenfalls der Text:
Der doppelte Mitausdruck
„Silbenmaß, ich weiche dir nicht, behaupte mich, ziehe
Dir mich vor!“ „Wohlklang, ich liebe das Streiten nicht. Besser
Horchen wir jeder mit wachem Ohr dem Gesetz und vereinen
Fest uns. Wir sind alsdann die zweite Seele der Sprache.“
Nun sollte natürlich kurz besprochen werden, worum es Klostock hier geht; aber zuerst möchte ich auf eine Lesung dieses Stückes hinweisen, die auf einer sehr schönen Seite von Fritz Stavenhagen zu finden ist:
Daran finde ich nämlich einiges Bemerkenswertes. Das geht schon in der Überschrift los, die Stavenhagen für mich so liest:
v — v v — — —
Also bei „Mitausdruck“ drei annährend gleichschwere Silben, jedenfalls aber deutlich schwerere als das „-pel-te“, wodurch ein schöner Ausdruck entsteht!
Im ersten Vers steht das „-maß“ auf einer betonten Stelle, da hätte ich mir vielleicht ein wenig mehr Nachdruck gewünscht, um das „— v —“ noch deutlicher hörbar zu machen; aber so geht’s natürlich auch. Im zweiten Vers wird dem Leser einiges abverlangt, der metrische Aufbau ist wohl dieser:
Dir mich / vor!“ „Wohl- / klang, ich / liebe das / Streiten nicht. / Besser
— — / — — / — || v / — v v / — v v / — v
Also eher „antik gemessen“ … Nun fallen die beiden ersten Betonungen auf recht schwache Silben („Dir“, „vor“), und das eigentlich sehr schwere und betonte „Wohl-“ steht in einer Senkungsposition, wodurch sich einer jener berüchtigen „geschleiften Spondeen ergibt. Wie löst der Sprecher nun dieses Kuddelmuddel? Sinnig, scheint mir: Er betont „Dir“ und „mich“ auf einer Höhe, geht dann, notgedrungen, beim „vor“ etwas runter (vielleicht eine Kleinigkeit zu weit?!), ehe er das „Wohl-“ nicht allzustark heraushebt und das „-klang“ schön streckt, um sie einander anzunähern. Der eine „unantike“ Trochäus „— v“ ist schon von Klopstock so verwandt worden, dass er die Zäsur enthält und sich durch die Sprechpause „längt“. Also: Trickreich, das alles.
Im dritten Vers ist schade, das die eigentliche Verszäsur gar nicht hörbar gemacht wird. Im vierten Vers hätte ich mir das einletende „Fest“ stärker gewünscht; passt zum Metrum, passt zum Inhalt.
Genau, der Inhalt … In Prosa klingt Klopstock, redet er über das Machen von Gedichten, so:
Erst der Inhalt, hierauf der Ausdruck, das ist Worte, die dasjenige bestimmt bedeuten, was wir damit sagen wollen, indem sie zu dieser Absicht sorgfältig gewählt und geordnet sind; die denjenigen Wohlklang haben, der zu der vorgestellten Sache gehört und die durch die Bewegung, welche ihre Längen und Kürzen hervorbringt, noch mehr und noch lebhafter dasjenige dedeuten, was sie bedeuten sollen.
Oder, in zwei knappen Sätzen:
– Der Klang der Wörter ist Mitausdruck.
– Silbenmaß ist Mitausdruck durch Bewegung.
Wobei die „Bewegung“ für Klopstock immer eine viel wichtigere Rolle gespielt hat als der „Wohlklang“ – wenn man’s recht bedenkt, schimmert das auch durch den Dialog (Klopstock liebte es, in Dialogform zu theoretisieren) des Epigramms durch – das „Silbenmaß“ beansprucht doch den größeren und eindrucksvolleren Teil der vier Verse für sich …