Erzählverse: Der Hexameter (49)

Lessing rezensiert Bodmers „Noah“

Sich in Bezug auf den Hexameter mit den Jahren um 1750 zu beschäftigen, lohnt sich wirklich, weil da etwas völlig neues in die literarische Welt getreten war und viele erst mal gar nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Gotthold Ephraim Lessing rezensierte dabei eines der Nachfolgewerke zu Klopstocks „Messias“. Wie immer fand er klare Worte:

Leipzig. Allhier ist in der Weidemannischen Buchhandlung herausgekommen: [Johann Jacob Bodmer:] Noah, ein Helden-Gedicht. Frankfurt und Leipzig. 1750. In Okt. 71/2 Bogen. Man sieht wohl, dass dieser neue Heldendichter den »Messias« des Hrn. Klopstocks nachahmen will. Ob es nun gleich scheint, dass er dadurch, wodurch dieser sich so viel Ruhm erworben, sich nicht gleich großen Beifall zu versprechen haben werde, so ist doch nicht zu leugnen, dass viel Züge einer erhabenen Dichtungskraft darinne vorkommen. Nur wäre zu wünschen, dass nicht auch so viel sogar matte Stellen mit untergelaufen wären. Von der ganzen Einrichtung können wir nichts sagen, weil der Verfasser der neuen Mode, die Heldengedichte stückweise herauszugeben, gefolget ist. Wir haben hier nur die 2 ersten Bücher vor uns. Übrigens ist es auch in den itzo so beliebten reimfreien Hexametern geschrieben. Wir wollen unser Urteil von dem poetisch-pedantischen Eifer wider die Reime bis auf ein andermal versparen, und nur itzo etwas von den Deutschen Hexametern gedenken. Es ist nicht zu leugnen, dass die Deutsche Sprache dieser Versart fähig ist: es ist aber auch gewiß, dass sie weit weniger dazu geschickt ist, als die Lateinische und Griechische Sprache. Statt der Beweise wollen wir hier nur die beiden eben erwähnten Heldengedichte, den Messias, und den Noah, anführen. Kann man etwas höckrichters in einer Sprache hören, als die hexametrische Versart dieser beiden Gedichte? Beleidigt wohl die elendeste Prose empfindliche Ohren so sehr, als hier die beständige Verlängerung der kurzen und Verkürzung der langen Sylben? Besonders scheint der Verfasser des Noah keinen Begriff von der Lateinischen Prosodie zu haben. Außer dem angezeigten Fehler bringt er die Zäsur fast niemals an den gehörigen Ort. Man lerne also ja bessere Deutsche Hexameter machen, eh man uns diese Versart so mit Gewalt aufdringen will. Ist in den Vossischen Buchläden für 4 Gr. zu haben.

Na das ist ja erstmal nicht so wohlmeinend! Obwohl es in Bezug auf Bodmers Noah gar nicht so unzutreffend ist, dieses „höckricht“… Ich gebe mal ein paar Beispielverse, aus dem achten Gesang – da, wo eben gerade die Flut losgeht:

 

Plötzlich erhellt die Schatten des Tods ein schlängelndes Blitzen;
Breit wie ein Strom, und kreuzend durch alle Zonen des Himmels.
Dann folgt die Stimme des Donners mit seeleinschlagendem Schmettern,
Stark genug, das Leben in tödliches Schweigen zu senken.
Itzt zerreißen die Knoten der angefülleten Schläuche
Über den Gürteln des Lands mit ihren kometischen Wassern,
Schütten Eimer von Regen herab und strömende Krüge,
Die stets gossen und stets mehr Wasser im Hinterhalt hatten.

 

Ich glaube, da hört man schon, dass Bodmer kein Händchen hatte für die Darstellung von Handlung – eben auch, weil sein Vers recht leblos ist, was mit an der schwammigen Zäsur liegt: Der Vers plätschert so vor sich hin. Der Schwung einer Sintflut geht im jedenfalls ab …

Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber am Ende haben die Deutschen dann ja auch gelernt, „bessere deutsche Hexameter zu machen“. Was Lessing wohl zu folgenden vier Hexametern gesagt hätte, die in Mörikes „Märchen vom sichern Mann“ die Sintflut beschreiben?!

 

Vierzig Tage lang strömte der Regen und vierzig Nächte
Auf die sündige Welt, so Tiere wie Menschen ersäufend;
Eine einzige See war über die Lande gegossen,
Über Gebirg und Tal, und deckte die wolkigen Gipfel.

 

Ich weiß es natürlich auch nicht, aber ich gönne mir den Spaß, anzunehmen, er hätte sich, das Buch im Schoß, zufrieden lächelnd zurückgelehnt.

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