„Einsiedler, Schmetterling und Tempelherr“ ist der leicht merkwürdige Name einer kleinen Vers-Erzählung von Richard Dehmel, eben kurz genug, um sie hier vollständig einstellen zu können:
Du weißt, Poet – begann der Tempelherr
Und lächelte durch seinen weißen Bart –
ich las sie auf vom Weg, die jetzt mein Weib ist.
Und dass sie, wider Sitte und Gesetz
des Ordens, mitging nach Jerusalem
und nicht den Weg zurückging, den sie kam,
– ich selber hieß sie mitgehn: das ging so zu.
Wir trugen schon das Abschiedswort im Sinn,
es war an einem heißen Frühlingstag,
schier blendend schimmerte das junge Gras,
und die Gefallne ließ es still geschehen,
dass ich mit ihr den Pfad vom Schloss zum Ufer,
wo andern Tags das Schiff anlegen sollte,
gleichsam zur Herzensübung niederstieg.
Der Pfad bog sehr abschüssig hin und her;
Ich brauchte sie, die stets wie ich gewillt war
– ihr Herzschlag geht dem meinen völlig gleich –
kaum mit der Hand zu stützen, so gefasst
vermied sie jeden lockren Stein im Gras,
als sie auf einmal fest um meinen Arm griff.
Dicht vor uns sonnte sich, beinah berührt
von meinem Schuh, auf einem Blütenkelch
des gelben Löwenzahns, ein saugender
ganz trunkner Schmetterling, ein Trauermantel.
Nun flog er taumelnd weg, zum nächsten Kelch,
dicht vor uns her, wir sahn ihn weitersaugen,
kaum atmend beide, wenn die bleichgesäumten
tiefschwarzen Flügel vor Entzücken zuckten,
und immer weiter so, von Kelch zu Kelch,
dicht immer vor uns her den Pfad hinab,
fast bis zum Fluss; da kriegte ihn der Wind
und blies ihn fort, wir blieben stehn im Wind.
Und plötzlich steht, durch diesen Schmetterling
mir vorgerückt, vor meinem innern Blick
ein jahrelang vergessner Tag: ein Herbsttag.
Ich bin bei einem Freund, Einsiedler ist er;
er wars – man wusste nicht warum – geworden,
an Jahren konnt er gut mein Vater sein.
Wir sind verloren in Gedanken; draußen
zerzaust der Bergwind seinen Blumengarten.
Er macht sein Bett, ein seltsam ungeschlachtes,
nach Bauernart bemaltes Ehebett;
da klopft es an die Tür. Er geht und öffnet;
und vor der Klause steht, bei seinen Blumen,
zerzaust wie sie, in schlechter schwarzer Tracht,
ein altes Weiblein, elend, scheu verkommen,
das blickt ihn bettelnd an. Ich seh ihn noch:
auf seine große Stirne treten Flecken
wie von Faustschlägen, seine Finger beben,
die guten blauen Augen glänzen grausig,
er sagt: geh weg! ich kenne dich nicht mehr.
Er will die Tür zudrücken, sie versperrt sie:
Ich hab nur dich geliebet! bettelt sie.
Er tritt zurück, die rote Stirn wird blass,
die Augen kalt, er sagt: geh weg, du lügst.
Sie schleppt sich nach: Verzeih mir! bettelt sie.
Er sagt noch kälter: ich verzeih dir, geh.
Da fasst sie seine Hand, und wieder fliegt
der grauenhafte Glanz durch seine Augen –
Du hast mich nie verstanden, Meiner! fleht sie:
Ich war – Doch eh sie enden kann, erbebt
der ganze breite Mann: Verstanden? schreit er
und hebt die Faust, ich will zuspringen, da:
laut schluchzend, Blut ausschluchzend vor ihn hin
knickt sie zusammen, schluchzt sie auf zu ihm:
ich war ein armer Schmetterling im Wind!
Da hat er sich mit mir gebückt zu ihr
und nahm das alte Weiblein an sein Herz
und trug sie weinend in ihr altes Bett;
drin ist sie lächelnd andern Tags verstorben.
Nun weißt du – endete der Tempelherr
und lächelte durch seinen weißen Bart –
warum, Poet, trotz Sitte und Gesetz
des Ordens, sie, die jetzt mein Weib ist, nicht
den Weg zurückging, den sie zu mir kam.
Ich sagte ihr am Morgen meiner Abfahrt,
was mir in jenem stillen Augenblick,
als wir am Fluss im Wind beisammenstanden
– sie hatte mich mit keinem Hauch gestört,
ihr Atem geht dem meinen völlig gleich –
vor meinem innern Blick gestanden hatte,
und hieß sie mitgehn nach Jerusalem.
Als ich das zum ersten Mal las, still für mich im Zug: da dachte ich „Na ja …“ Und so toll ist es inhaltlich ja wirklich nicht. Auch nicht schlecht, aber eben etwas, das um 1900 geschrieben wurde und heute einfach nicht mehr recht genießbar ist?!
Später habe ich es dann zweimal meinen Katzen vorgelesen, laut selbstredend; und da dachte ich eher „Doch, ja!“ Die Geschichte war immer noch die gleiche, doch die Blankverse und die Art, wie Dehmel sie benutzt, geben dem ganzen doch eine eigene Färbung; und das Zuhören an sich macht eine gewisse Freude.