Johann Jacob Bodmers „Der Schwester Rache“
Johann Jacob Bodmer war ein für die Literaturgeschichte Deutschlands wichtiger Mann, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch seine Ansichten zur Poetik viel bewirkt hat. Aber auch darüber hinaus hat er vieles geleistet; 1755 entdeckte er zum Beispiel das Nibelungenlied wieder, das er dann 1757 herausgab. 1767 veröffentlichte er „Der Schwester Rache“ – eine Übertragung der letzten zwölf Aventiuren des Nibelungenlieds in vier in Hexametern geschriebene Gesänge! Eine seltsame idee … Aber natürlich war der Hexameter nach dem aufsehenerregenden Erfolg von Klostocks „Messias“ so etwas wie „der Vers des Tages“, und zum anderen natürlich auch der Vers der homerischen Heldenepen, was ihn zu einem naheliegenden Bewerber machte, wollte man das alte deutsche Heldengedicht in moderner Sprache neu erzählen.
Bodmer war nun ein guter Philologe und ein bedeutender Literat – ein Dichter aber war er nicht. Im Gegensatz zu Klopstock, der etwas zu sagen hatte und dabei über die dafür nötige dichterische Gewalt verfügte, hatte Bodmer in seinen Dichtungen deutlich weniger zu bieten. Wer da einen Eindruck gewinnen möchte, vergleiche bitte Klopstocks „Messias“ mit Bodmers „Noah“!
Die Hexameter-Fassung des Nibelungenlieds war, so gesehen, eine gute Idee Bodmers. Johann Crüger schreibt dazu:
Die alte heldenhafte Fabel in dem Gewande der klopstockischen Modepoesie! Stil und einzelne Wendungen Klopstock nachgeahmt; aber im ganzen ist auf das Original pietätvolle Rücksicht genommen; seine Züge sind sehr wohl auch hinter dem seltsamen Äußeren erkennbar. Ja, diese Mittelstellung zwischen Übersetzung und freier Umgestaltung hat ihre großen Vorteile: zu letzterer hätte Bodmern die poetische Kraft gefehlt; zu ersterer eine ganz genaue Kenntnis des Mittelhochdeutschen.
In jedem Fall hat diese Fassung dann geholfen, das Nibelungenlied bekannter zu machen.
Aber wie klingen denn nun Bodmers Verse? Ich zeige das an einem der letzten ruhigen Augenblick vor Beginn der blutigen Metzelei: Der „Spielmann“ Volker hält zusammen mit Hagen Wache und spielt für die in der Halle versammelten Burgunden.
Volker doch lehnte den Schild an die Wand und holte die Fiedel.
Saß dann unter der Tür auf dem Stein, nie hatte die Sonne
Einen kühnern Spielmann beschienen. Die süßesten Töne
Klangen vom Ende des Saals zu dem Saitenspieler zurücke.
Groß war des Spielmanns Kunst und groß sein Mut. Mit dem Wohlklang
Wiegt‘ er die Sorgen ein: die Herren und Ritter entschliefen.
Als er das sah, so nahm er wieder den Schild von der Wand auf.
Mein Eindruck ist der einer gewissen Kurzatmigkeit. Die Verse leisten weniger, als sie eigentlich könnten. Auch die Zäsuren sind oft schwach und bilden den Vers nicht. Aber natürlich war Bodmer hier nicht ganz frei, und wenn man seine Hexameter mit dem ursprünglichen Versen vergleicht, hört man Anklänge, die Bodmers Hexameter dann in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Behält man die ursprüngliche Versform bei, klingen die entsprechenden Verse übersetzt (Simrock) so:
Volker der schnelle lehnte von der Hand
Seinen Schild den guten an des Saales Wand.
Dann wandt‘ er sich zurücke, wo seine Geige war,
Und diente seinen Freunden; es ziemt‘ ihm also fürwahr.
Unter des Hauses Türe setzt‘ er sich auf den Stein.
Kühnrer Fiedelspieler mochte nimmer sein.
Als der Saiten Tönen ihm so hold erklang,
Die stolzen Heimatlosen, die sagten Volkern den Dank.
Da tönten seine Saiten, dass all das Haus erscholl;
Seine Kraft und sein Geschicke, die waren beide voll.
Süßer und sanfter zu geigen hub er an:
So spielt‘ er in den Schlummer gar manchen sorgenden Mann.
Da sie entschlafen waren, und Volker das befand,
Da nahm der Degen wieder den Schild an die Hand
Und ging aus dem Hause vor die Türe stehn,
Seine Freunde zu behüten vor denen in Kriemhilds Lehn.
Man bekommt eine Ahnung, woher Bodmers Hexameter ihren ganz besonderen Klang haben?! Insgesamt jedenfalls ein wunderliches Stück deutscher Literatur.