Goethes „Faust“ ist ein Studierbuch erster Güte für so gut wie alles, was das Deutsche an „geregeltem Vers“ zu bieten hat – da macht das Madrigal keine Ausnahme! Viele Abschnitte des ersten Teils sind „madrigalisch“ gebaut, ein Beispiel aus „Studierzimmer (2)“, anschließend an das berühmte „Ich bin des trocknen Tons nun satt“:
Mephistopheles
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.
Vergebens, dass Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
Doch, der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wird’s Euch auch nicht fehlen,
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen
Es ist ihr ewig Weh und Ach
So tausendfach
Aus einem Punkte zu kurieren,
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
Dann habt Ihr sie all unterm Hut.
Ein Titel muss sie erst vertraulich machen,
Dass Eure Kunst viel Künste übersteigt;
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie mit feurig schlauen Blicken
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
Wunderbare Verse, die sich fein bewegen. Da lohnt an jeder Stelle das Hineindenken und -hören?! Zum Beispiel, wie in V4 ein Zweiheber den ersten Satz schließt; dann macht ein langer, wuchtiger Sechsheber den zweiten Satz auf, dem schön ordentlich ein Fünfheber, ein Vierheber und ein Dreiheber folgen; mit dem Dreiheber endet der Satz.
Das sind die Möglichkeiten, die das Madrigal dem Versemacher an die Hand gibt; und Goethe ist bestimmt nicht der schlechteste Ort, um sich nach Beispielen dafür umzusehen. Also, ruhig den „Faust“ mal wieder in die Hand nehmen – lohnt ja ohnehin immer …