Justus Friedrich Wilhelm Zachariäs „Murner in der Hölle“ (2)
Im zweiten Gesang des „komischen Epos“ stellt sich heraus, dass manches nicht so ist, wie es zuerst schien: die Klagen der Zofe Lisette etwa waren Schauspielerei, in Wirklichkeit freut sie sich über den Tod des Katers und ruft, mit dem Leichnam allein, aus:
Wohl mir, dass ich dich tot, du falsche Bestie, sehe!
Da wundert ihr Umgang mit dem toten Tier nicht:
Jetzt eröffnete Lisette das Fenster; sie fasset den Körper
Bei dem hintersten Bein, und wirft ihn zum Fenster herunter
Auf den schimpflichen Mist. So stürzten die Statuen eh’mals
Eines Tyrannen herab; so ward das Schrecken der Römer,
Nun ein verstümmelter Rumpf, in faule Kanäle geschmissen.
Da ist gleich im ersten Vers eine unbetonte Silbe zu viel:
Jetzt er- / öffnete Li- / sette das / Fenster; || sie / fasset den / Körper
X x / X x x x / X x x / X x || x / X x x / X x
– Da waren die Hexametristen der Frühzeit recht sorglos, und warum auch nicht: Es verändert die Bewegung des Verses ja nicht wirklich.
Raban versucht derweil, Rosaura von ihrem Schmerz durch geselliges Treiben abzulenken – was ziemlich gut gelingt:
Muntrer kam sie zu ihrem Gemach; des Lieblings vergessend,
Denket sie nicht an sein Grab, und setzt zum Putze sich nieder.
Schachteln gingen da auf, und Büchsen wurden eröffnet;
Eisen glühten in schwarzen Vulkanen, und Wolken von Puder
Wälzten sich gegen den Tag; dann rollte die rasselnde Kutsche
Glänzender Fremden über den Hof. Es dampfte die Küche
Hohen Geruch von Braten, Pasteten und kräftigen Brühen.
Eine muntere Tafel, von leichten Scherzen umflattert,
Schmauste den langen Nachmittag durch; die hellen Pokale
Taumelten unter den Junkern herum, bis durch die Gewölke
Freundlich der Abendstern blinkte; da unterdessen das Fräulein,
Von der horchenden Schar am silbernen Flügel umringet,
Mit dem holden Gesang die eilenden Stunden verkürzte.
So ward alles Leid und alle Trauer vergessen.
Ein Abschnitt, in dem der Hexameter glänzen kann dank der Fülle an gegenständlicher Beschreibung, die auch nach 250 Jahren immer noch frisch wirkt und fröhlich-verspielt. Der letzte Vers ist dabei zwar regelgerecht gebaut, aber doch eine Seltenheit:
So ward / alles / Leid || und / alle / Trauer ver- / gessen.
X x / X x / X || x / X x / X x x / X x
Die ersten vier metrischen Einheiten haben in der Senkung lediglich eine unbetonte, leichte Silbe – das ist ungewöhnlich, üblicherweise sind Senkungen dabei, die zwei leichte Silben haben! Der Vers wirkt so sehr langsam und ruhig?!
Murners Geist wandert inzwischen durch die Unterwelt und kommt an den Styx und seine Wasser:
Durch sie fuhr der finstere Charon; ein schmutziger Alter,
Dessen grauer, verworrener Bart den Gürtel herabfloss.
Mürrisch saß er im Kahn und steuerte langsam sein Fahrzeug
Gegen die brausende Flut zum Ufer, wo Scharen von Seelen
Zum Gestade sich drängten. Hier gingen unter einander
Fürsten, Komödianten und Dichter, und Huren und Nonnen,
Goldmacher, Räuber und Prokuratoren, und Ärzte; mit ihnen
Totengräber, nebst lachenden Erben. Auch gingen hier Seelen
Vornehmer Damen, mit Seelen von Hunden und Katzen, und Vögeln;
Beschreibungen der Unterwelt gibt es in der Antike, und so auch in deutschen Hexameter-Epen; zum Beispiel auch in Eduard Mörikes „Märchen vom sichern Mann“, wo es über die Unterwelt unter anderem heißt:
Vorn bei dem Eingang sammelte sich unliebsames Kehricht
Niederen Volks: trugsinnende Krämer und Kuppler und Metzen,
Lausige Dichter dabei und unzählbares Gesindel.
Zwischen diesen Versen und denen von Zachariä liegen fast hundert Jahre – man hört es?! Murner jedenfalls muss feststellen, dass Charon ihn nicht übersetzen will,
Denn der mürrische Greis führt keine verstorbenen Seelen
Über die Stygischen Wasser und hohen Cocytischen Fluten,
Wenn nicht ihr Körper auf Erden die letzten Ehren erhalten.
Was bleibt Murner übrig? Er kehrt wieder in die Oberwelt und
Zu dem Schlosse zurück, wo sein verachteter Leichnam
Auf dem Miste noch lag, dem Knecht und der Viehmagd zum Abscheu.
– Mit diesem beiden Versen schließt der zweite Gesang …