Erzählverse: Der trochäische Vierheber (28)

Dieser Tage wird viel geschrieben über den Beginn des ersten Weltkriegs vor hundert Jahren. Ich lese im Augenblick auch in dieser Richtung, nämlich „Schreib das auf, Kisch!“, das Kriegstagebuch von Egon Erwin Kisch, erschienen 2014 im Aufbau Verlag. Auf Seite 172, im Eintrag zum 27. Oktober 1914, findet sich dieser Abschnitt, der beschreibt, was in eroberten serbischen Stellungen gefunden wird:

Massenhaft Munitionsverschläge, Handbomben, Maschinengewehre, Tornister, Brotsäcke, Decken, Laibe von Kukuruzbrot, leere Feldfalschen und Kürbisse haben sie zurückgelassen, Zeltblätter, zerbrochene Gewehre, Opanken. Wir durchsuchen die Deckungen. Alles zeugt von Not und Elend. Bei uns würde man doch hier und da Reste verschwundener Pracht, geleerte Rumflaschen, eine Wursthaut, Speckschwarte, einen fetten Deckel der Menageschale oder geleerte Konservenbüchsen finden. Hier aber nur erloschene Herdfeuer Herdfeuer mit faulen Kürnisschalen und Reste von Maiskörnern.

– Und da klang mir ein trochäischer Vierheber kräftigst heraus:

Alles zeugt von Not und Elend.

Ein Satz, der aufgrund seiner Bewegung und seines Klangs ohne weiteres in einem aus Vierhebern bestehenden Gedicht stehen könnte – mit Gewinn?! Und sogar genug Kraft hat, zumindestens für mich, die anderen Sätze zu sich zu zwingen –

 

Serben sind verwundet worden,
Viele Serben, und sie betteln
Nun um Brot, um Speck, um Tabak;
Und bekommens, denn da drüben
Scheint das Elend groß zu sein

Wir durchsuchen manche Deckung –
Wären’s unsre, fänden Reste
Lange schon verschwundner Pracht sich,
Hier und da: geleerte Flaschen,
eine Wursthaut und der fette
Deckel der Menageschale,
Und, geleert, Konservenbüchsen;
Nichts davon! Erloschne Feuer,
Kürbisschalen, alt und faulig,
Ein paar Körner Mais, nichts weiter:
Alles zeugt von Not und Elend.

 

Die kursiven anderthalb Verse des ersten Abschnittes stehen so bei Kisch, eigenartigerweise auch sie von „Elend“ gefüllt?! Nun passt nicht alles in diese Vierheber, aber schon erstaunlich, wie gut der Inhalt sich diesem einen Vers entsprechend formt.

Wobei das alles nur eine Spielerei ist, die Kisch mir nachsehen wird, wie ich hoffe, milde lächelnd über meine Begeisterung für Bewegungslinien. Sein Kriegstagebuch lese ich jedenfalls gern und aufmerksam, mit der bei solchen Texten wahrscheinlich unvermeidlichen Mischung aus Neugier und Beklemmung.

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