Erzählverse: Der Hexameter (63)

Hexameter und Reim

Hexameter reimen sich nicht. Das haben sie in der Antike nicht getan, und das haben sie in der Zeit seit 1750 auch im Deutschen unterlassen. Trotzdem ist ein Blick auf die wenigen gereimten Hexameter, die doch geschrieben wurden, ganz aufschlussreich, weil man an den Versuchen, den über den Rhythmus geregelten Vers mit dem über den Gleichklang geregelten Vers zu vermengen, erst richtig bemerkt, wie grundverschieden sie sind.

Dazu schreibt etwa Friedrich Georg Jünger in seinem empfehlenswerten kleinen Buch „Rhythmus und Sprache im deutschen Gedicht“ (Klett-Cotta 1987):

Das Reimen der Hexameter ist ein Missgriff. Hier hat der Reim nichts zu schaffen, denn im Hexameter ist nichts, was durch den Gleichklang eines Endreims zu binden wäre. Deshalb sind die gereimten Hexameter, in denen sich noch Gottsched versuchte, dem Ohr verdrießlich. Auch schläfern sie ein, weil das Ohr müde wird, den langen Vers auf den Reim, der ihn beendet, zu belauschen. Zu bedenken ist dabei, dass der Hexameter auf einen anderen Ausgang abgestellt ist als Reimvers, denn er zielt auf den Anfang, nicht auf das Ende des folgenden Verses.

Da finden sich schon wichtige Punkte, die gegen den gereimten Hexameter sprechen. Aber wie klingen solche Verse denn nun? Ich führe einfach mal einige des von Jünger erwähnten Gottsched an. Der verzweifelte Mitte des 18. Jahrhunderts an den gerade in Mode kommenden deutschen Hexametern und schrieb in seinen „Vorübungen der lateinischen und deutschen Dichtkunst“:

Wer also noch deutsche Hexameter machen will, der bemühe sich entweder, sie so schön und wohlklingend zu machen, als die lateinischen, bei denen man die Reime nicht vermisset: oder man gebe ihnen wenigstens Reime; dass sie doch auf eine Art ins Ohr fallen.

Wenn also jemand die Aeneis in Hexametern verdeutschen wollte, und so anhübe:

 

Waffen besing ich, und den, der von trojanischen Küsten
Welschlands Grenzen bezog, wo Latiens Ufer sich brüsten;
Welcher viel Unfalls erfuhr, als nebst der Götter Verhängnis
Iunons wütender Groll den Helden in manche Bedrängnis,
Teils auf der See, teils wieder zu Lande gezwungen zu schweben,
Eh er noch Alba gebaut, und Welschland Götter gegeben;
Bis der Lateinergeschlecht, der Rat der Albaner entsprungen,
Ja dir auch selber, o Rom, die erhabenen Zinnen gelungen.

 

so würde es eben so unrecht nicht klingen.

Das mag ich jetzt nicht beurteilen – spannender ist doch die Frage, wie es klingt im Vergleich mit ungereimten Hexametern?! Daher hier dieselbe Vergil-Stelle, diesmal in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss:

 

Waffen ertönt mein Gesang, und den Mann, der von Toer-Gefild einst
Kam, durch Schicksal verbannt, gen Italia, und an Latinums
Wogenden Strand. Viel hieß ihn Land‘ umirren und Meerflut
Göttergewalt, weil daurte der Groll der erbitterten Juno;
Viel auch ertrug er im Kampf, bis die Stadt er gegründet, und endlich
Latium Götter empfing; woher der Latiner Geschlecht ward,
Und Albanische Väter, und du, hochtürmende Roma.

 

Und ich glaube, da wird dann schon klar, worauf Jünger hinauswollte, oder?! Aber auch andere als End-Reime stören im Hexameter – so findet sich etwa in der „Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste“ 1830 diese Bemerkung:

Aller Gleichklang stört das rhythmische Gefühl so sehr, dass in dem Distichon:

 

Stützen und schützen den Staat vermag die solonische Weisheit
Nicht durch geschriebenes Wort, nein! durch gesetzliche Tat.

 

der ähnliche Schluss des letzten Verses mit dem Einschnitte des ersten so sehr missfällt, als der Reim zu Anfange.

Und zumindest meiner Erfahrung nach stimmt das wirklich – wenn mir beim Hexameter-Schreiben mal aus Versehen ein Reim in den Vers gerät, bemühe ich mich immer, ihn rauszubekommen, auch dann, wenn die Reimworte inhaltlich gut passen; denn der Gleichklang stört in dieser Umgebung, er beansprucht Aufmerksamkeit, die sich auf anderes richten sollte.

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