Erzählverse: Der Blankvers (41)

Manchmal kommt mir ein Text bekannt vor, obwohl ich ihn vorher noch nie gesehen habe. Bei Jacob Julius Davids „Epistel“ ging es mir zum Beispiel so:

 

All‘ deine Süße, deine Anmut hab‘ ich
Empfangen tief im dankbarsten Gemüt
Und mich daran erfreut, sie dir gespiegelt,
Bis deinen Wert du kanntest und erschrakst,
Wie reich du seist, so fürstlich mir zu spenden.
Und eines Mägdleins musst‘ ich da gedenken,
Das ich in längstvergangner Zeit belauscht
Ganz sonder Arg. An einen Weiher trat es,
Darauf Nymphäen schwammen, den die Rüster,
Die schwanke Erle mit behänden Schatten,
Tiefgrün ins Grün, geschmückt, durch den ein Flirren
Geheim vom Grunde ging. Es trat ans Wasser
Und ließ verschämt das Hemdlein gleiten, sah
Die eigne Schönheit leuchtend rückgespiegelt
Im feuchten Aug‘ der stillen, tiefen Flut –
Und flammend schlug ein Rot ihm ins Gesicht,
Das es in beiden Händen barg, und schämte
Sich vor sich selbst und wusste nicht warum,
Und war ganz ohne Fehl …

 

„Nymphäen“ sind Seerosen, und „Rüster“ wohl Ulmen?! Davon ab ist der Satzbau an dieser Stelle auch reichlich verwirrend, die dreigliedrige Aufzählung erschließt sich nicht so recht. Na, mir jedenfalls nicht …

Aber worauf es ankommt, das Gefühl von „Kenn-ich-doch“: Das rührt wohl von einem anderen Blanvers-Text her, den ich hier beim Verserzähler schon vorgestellt habe, Christian Morgensterns Die beiden Nonnen! Da ist zum einen sicherlich die inhaltliche Übereinstimmung – ein Dichter beobachtet unbemerkt, hier Nonnen, da ein „Mägdlein“; aber eben auch die Ähnlichkeit im Tonfall, die bei anderen Blankvers-Texten Morgensterns auch, und vielleicht noch deutlicher vernehmbar ist!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert