Erzählverse: Der Blankvers (42)

Hugo von Hofmannsthals „Brief aus Bad Fusch“ liest sich sehr eigenartig – eine ton- und gefühlslose Bestandsaufnahme, die aber doch (oder eben darum?!) eindringlich daherkommt. Ein Text, dem der schmucklose Blankvers sehr gerecht wird; mit gereimten Fünfhebern würde die Wirkung geringer sein, wenn überhaupt vorhanden?! So gesehen: Ein schönes Beispiel für die Einsatzmöglichkeiten des Blankverses!

 

Es regnet seit fünf Tagen und fünf Nächten.
Der wilde Wind ist wach auf allen Wegen
Die ganze Nacht. Die blassen Blätter zittern,
Dann fallen kalte Tropfen; kaltes Rieseln
Ist Tag und Nacht an allen Fenstern, Gurgeln
Und Plätschern in der Rinne und am ärgsten
Das Rauschen nachts im angeschwoll’nen Mühlbach.
Wir können nicht mehr lesen in den Zimmern,
Wir müssen immer horchen auf das Rauschen
Der angeschwoll’nen Bäche. Und es dämmert
Unendlich lang. Dann wirds auch immer kälter.
Die Knechte sagen, dass es sicher schneit
Auf allen Bergen und auch bald herunten;
Doch sieht man nichts vor schwerem kalten Regen.
Die Knechte können nichts im Freien tun.
So sitzen sie den ganzen Tag beisammen
In einer niedern Stube, wo die Fenster
Vergittert sind und reden von Gespenstern:
Vom Sandmann, der die Kinderaugen tötet,
Vom toten Gast und von berühmten Mördern,
Besessenen und nächtlichen Vampiren.
Wir sitzen abends in dem weißen Zimmer,
Dem mit den alten unbequemen Möbeln
Aus der Kongresszeit, wo auch das Klavier steht …

 

Fast alle Verse schließen „weiblich“, also mit einer unbetonten Silbe – das trägt zur Eintönigkeit bei. Der letzte Vers schließt dabei kräftig, mit einer Nebenhebung auf „steht“, ehe alles im „…“ aus- und verklingt.

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