Wieland selbst hat 1771 in der „Vorrede“ zum „Neuen Amadis“ die von ihm benutzte Versart so beschrieben:
Die Versart des Neuen Amadis hat die Vorteile der meisten übrigen, ohne ihre Mängel und Unbequemlichkeiten. Sie passt sich an alle Arten von Gegenständen, und an alle Veränderungen des Stils an; sie hat, je nach dem es erforderlich ist, einen gelassenen oder hüpfenden, einen feierlichen oder muntern, einen eleganten oder nachlässigen Gang; sie windet sich wie ein sanfter Bach durch Blumengefilde, oder rauscht wie ein Waldwasser über Stämme und Felsenstücke daher; sie scheint beim ersten Anblick zu frei zu sein, um dem Poeten die mindeste Mühe zu geben; aber Ungeübte, welche, ohne feines Gefühl für Rhythmus und Harmonie, sie nachzuahmen versuchen wollten, möchten sich hierin betrogen finden. Alles in der Welt hat seine Regeln; und diese freie Versart, so nahe sie an die Dithyrambische grenzt, hat deren vielleicht mehr als irgend eine andre. Sie ist fähig, einem Gedichte die größte musikalische Anmut zu geben; aber unter ungeschickten oder allzu nachlässigen Händen würde sie ein unerträgliches Geleier werden. Die Nachahmer wissen selten, wieviel Kunst und welch ein hartnäckiger Fleiß oft unter dem Anschein der äußersten Leichtigkeit versteckt ist.
– Da steckt einiges an Nachdenkenswertem drin?! Aber damit wenigstens einige Verse in diesem Eintrag vorkommen, habe ich eine der Stellen herausgesucht, an denen Wieland die äußersten Möglichkeiten dieser Versart unmittelbar aufeinander folgen lässt, den Schluss der zweiten Stanze des 13. Gesangs:
Auch seine Musik, allein, was das betrifft,
So können wir seinen Geschmack am Bunten und Schweren nicht loben,
Dennn uns ist beides Ohrengift.
Da geht es wild her: Erst ein fünfhebiger Vers von elf Silben, dann ein sechshebiger Vers von siebzehn Silben (achtzehn ist die höchstmögliche Zahl an Silben!), ehe die Bewegung im dritten Vers auf einen vierhebigen Vers von acht Silben zurückfällt!
Auch sei– / ne Musik, || allein, / was das / betrifft,
So kön– / nen wir sei– /nen Geschmack || am Bun– / ten und Schwe– / ren nicht lo– / ben,
Denn uns / ist bei– / des Oh– / rengift.
x X / x x X || x X / x X / x X
x X / x x X / x x X || x X / x x X / x x X / x
x X / x X / x X / x X
Der dritte Vers ist noch nicht einmal halb so lang wie der zweite?! Eigentlich müssten solche Verse auseinanderfallen, wie zu verschiedenen Gedichten gehörig erscheinen; sie tun es aber nicht, wie die Überprüfung im Vortrag zeigt. Der ist ohnehin unabdingbar, wie auch Wieland anmerkt in seiner Vorrede zu einer neuen Auflage des „Amadis“ (1794):
Denn dass ein Gedicht nicht nur gesehen, sondern auch gehört werden soll, ist etwas so wesentliches, dass man es sich, auch wenn man Verse für sich allein liest, zum Gesetz machen sollte, allezeit laut zu lesen.