Erzählverse: Der Hexameter (75)

Paul Heyses „Hexameter-Brief“ (3)

Die Verse 53 – 90 beschäftigen sich nicht unmittelbar mit dem Hexameter, sondern widmen sich der Einschätzung August von Platens. Erst am Ende geht es wieder in Richtung Hexameter, aber das wird dann der Inhalt des nächsten Eintrags sein!

 

Doch fern sei’s, den Toten zu schmähn, der wahrlich vollauf schon
Leid im Leben erfuhr, Missurteil, Hohn und des Unglücks
Lähmenden Druck. Denn arm und ein Graf, Poet und ein Deutscher,
Heimischem Ruhm nachtrachtend in selbsterwählter Verbannung,
Statt des lebendigen Lebens ein Wolkengebild umarmend,
Wandelt‘ er unter den Fremden dahin und lauschte begierig,
Ob ihm über die Alpen ein Laut nachfolge des Beifalls,
Dem er stolz zu entsagen sich rühmt‘, um nur von der Nachwelt
Späte Genugtuung zu empfahn und sühnenden Lorbeer.
Doch nie soll ein Dichter sich selbst entfremden der Heimat,
Die, wie immer gescholten und scheltenswert, mit den frühsten
Säften der Seele genährt, und der zu entwachsen so wenig
Glückt und geziemt, wie je ein Sohn von der Mutter sich losmacht.
Wer gewaltsam löst das Band der Natur, dem rächt sich’s
Nicht am Leben allein, dem freud‘- und friedeberaubten,
Auch an der Kunst. Und flöh‘ er zu jenem seligen Eiland,
Wo ihm Schönheit winkt vom lachenden Strand, aus den Hütten,
Wie aus hohen Palästen und herrlichen Meistergebilden,
Nie doch fänd er Ersatz des Wünschenswertesten: Einklang
Mit sich selbst und dem eigenen Volk. Ja, selber die Sprache
Wird ihm ein leblos Wesen, geschickt zu manchem Gebrauch wohl,
Doch ein künstlich Phantom, nicht mehr aus Kinder- und Ammen-
Mund mit rührender Macht uns Ohr und Seele bewegend,
Wie es der Dichter bedarf, auf dass im Busen die Kraft ihm
Nicht verdorre, das Herz verbrüderter Menschen zu rühren.
Sieh im Bauer den Vogel; man lehrt ihn künstliche Weisen,
Und er flötet gelehrig sie nach; doch bleibt es ein seltsam,
Schier unheimlich Getön, und nicht wie schlichter Naturlaut
Harmlos munterer Sänger erquickt sein Trillern das Herz dir.
So entfremdet‘ auch er sich der echt anheimelnden Tonart,
Nicht vom warnenden Beispiel belehrt des schweifenden Helden,
Der mit Wachs sich die Ohren verwahrt, um an der Sirenen
Klippen vorüberzuschiffen. Zu Haus wohl deuchte das Grunzen
In des göttlichen Sauhirts Pferch ihm trauterer Wohlklang,
Als im purpurnen Meer der gefährlichen Jungfraun Lockruf.
Platen jedoch umstrickte die feinaufhorchende Seele
Griechischer Rhythmen Gewalt; er vergaß, dass anderen Völkern
Andere Kraft und Sitte verliehn und andres Bedürfnis.

 

–  Doch nie soll: Heyses Hexameter bewegen sich in diesem Abschnitt recht ungezwungen, oder jedenfalls: sind in ihrer Bewegung unmittelbar erfahrbar?! Nur dieser Vers macht, denke ich, an seinem Beginn ein wenig Schwierigkeiten:

Doch nie / soll ein / Dichter || sich / selbst ent- / fremden der / Heimat,

Mir fällt es schwer, die erste Vershälfte bis zur Zäsur mit einer überzeugenden Bewegungslinie vorzutragen?!

Platen jedoch: Heyse braucht bis hierher ziemlich viel Raum, um nicht sonderlich viel zu sagen?! Die Beschäftigung mit Platen war allerdings  im 19. Jahrhundert nötig – irgendwie musste man sich verhalten zu dessen Überbetonung der Form, sie einordnen; zustimmend oder ablehnend. Viele Dichter haben das im Vers getan – ich füge hier als Abschluss dieses Eintrags ein Gedicht von Friedrich Hebbel an, „Platen“: Ich denke, Hebbel erfasst Platens Eigenheit überzeugender als Heyse – und vor allem bringt er seine Meinung besser auf den Punkt! Die Distichen seines Textes gefallen mir sehr gut, und auch, wie die Sprache durch sie hindurchfließt.

 

Vieles hast du getan, man soll es mit Liebe dir danken,
Hast der äußeren Form streng wie kein zweiter genügt,
Hast die innre erkannt und alle Reifen der Sprache,
Welche der Leichtsinn sprengt, wieder zusammengeschweißt.
Eines fehlt dir jedoch, die sanfte Wallung des Lebens,
Die in ein reizendes Spiel gaukelnder Willkür den Ernst
Des Gesetzes verwandelt und das im Tiefsten Gebundne
So weit löst, bis es scheint, dass es sich selbst nur gehorcht.
Dennoch verschmilzt nur dies die äußere Form mit der innern,
Und man erreicht es nur so, dass die Gebilde der Kunst
Wirken wie die der Natur, und dass, wie Blumen und Bäume,
Keiner sich auch ein Gedicht anders noch denkt, als es ist.

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