Ludwig Tieck ist für die deutsche Literatur ein nicht ganz unwichtiger Mann; seine Verse und Gedichte allerdings galten schon den meisten seiner Zeitgenossen als schwer genießbar aufgrund ihrer nachlässigen Art, bei der sich die Form der Texte oft genug bis zur Unkenntlichkeit auflöste und Floskeln und Allgemeinplätze sich häuften. Aber irgendwas ist dann doch in ihnen enthalten, oft nur ein einziger Ausdruck, eine besondere Wendung … Mir ging es eben wieder so bei „Das Wasser“, zu finden in Tiecks Lustspiel „Kaiser Octavianus“ (auch ein eher wunderliches Werk). Der Anfang:
Heilig, reine, milde Flut,
Kind der Liebe, klares Wasser!
Als die neue Welt dem Zorne
War im ersten Sein erstarret,
Alle Kräfte ihr entflohen
Und ihr innres Herz erkaltet,
Schwebte sie ein harter Leichnam
Durch die leeren Himmelsbahnen,
In sich keine Lebensgeister,
Über sich nicht Sternverwandten.
Und es regte sich ein Schmerz,
Liebe ganz und ganz Erbarmen,
In den allerreinsten Himmeln,
Legte sich wie weiche Arme
Um den stumm gewordnen Busen
Und das Herz drinnen erwarmte:
Und es fühlte erst ein Zittern,
Dann ein tief erbebend Bangen,
Und es riss sich von der Furcht
Und dem ungewissen Zagen,
Gab sich ganz und voll dem Schmerz hin,
Dass umher nur Toten-Halle,
Alle Jugend ihm entschwunden
Und die Lust hinweg, die alte.
… Und immer so weiter, ein ganzes Stück noch. Die Verse sind gar nicht mal so ungeformt, da ja die geradzahligen Verse allesamt auf „a“ assonieren; aber reichlich schräg klingt es an vielen Stellen trotzdem. „Dass umher nur Toten-Halle“?! Von Metrums-Verrenkungen wie „Und das Herz drinnen erwarmte“ gar nicht zu reden.
Aber es gibt eben auch diese beiden Verse:
Und es regte sich ein Schmerz,
Liebe ganz und ganz Erbarmen
– Und die haben sich mir sofort eingeprägt und werden auch bleiben. Dafür sind ein paar Dutzend weniger gelungener Verse, die man liest und ohnehin sofort wieder vergisst, eigentlich kein zu hoher Preis …