August von Platens „Das Fischermädchen in Burano“ (1)
Im vor kurzem hier vorgestellten „Hexameter-Brief“ Paul Heyses spielte August von Platen eine gewichtige Rolle – Grund genug, auch einmal einen seiner Hexameter-Texte vorzustellen?! Ich habe dafür aber nicht „Die Fischer auf Capri“ ausgesucht, sondern „Das Fischermädchen in Burano“, ein mittellanger Text, den ich auf zwei Einträge verteilen möchte. Hier der Anfang:
Strickt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll’s der Geliebte
Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehrt.
Weshalb zaudert er heute so lang? Die Lagune verflacht sich
Schon, und es legt sich der Wind; um das leuchtende hohe Venedig,
Wie es den Wassern entsteigt, ausbreitet sich Abendgewölk schon.
Ostwärts fuhren sie heut mit dem Fahrzeug gegen Altino,
Wo in den Schutt hinsank ehmals die bevölkerte Seestadt.
Häufig erbeuten sie dort Goldmünzen und prächtige Steine,
Wenn sie das Netz einziehn, die betagteren Fischer erzählen’s:
Möchtest du auch, o Geliebter, und recht was Köstliches finden!
Schön wohl ist es zu fischen am Abende, wann die Lagune
Blitzt, und das schimmernde Netz vom hangenden Meergras funkelt,
Jegliche Masche wie Gold, und die zappelnden Fische vergoldet;
Aber ich liebe vor Allem den Festtag, wann du daheimbleibst.
Auf dem besuchteren Platz dann wandelt die kräftige Jugend,
Jeder im Staat, mein Freund vor den Übrigen schön und bescheiden.
Oftmals lauschen wir dann dem Erzähler, und wie er verkündigt
Worte der Heiligen uns, und die Taten des frommen Albanus,
Welcher gemalt hier steht in der Kirche, des Orts Wohltäter.
Doch als seine Gebeine hieher einst brachten die Schiffer,
Konnten sie nicht ans Ufer den Sarg ziehn, weil er so schwer schien;
Lange bemühten die starken gewaltigen Männer umsonst sich,
Triefend von Schweiß, und zuletzt ließ Jeglicher ab von der Arbeit.
Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,
Spannten, als wär’s zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann
Leicht an den Strand, ganz ohne Beschwerde, mit freundlichem Lächeln.
Die ersten vier Hexameter sind nicht weiter auffällig – schöne, sichere Verse. Dann aber beginnt die Zeit des „geschleiften Spondäus“, den Platen in vier der fünf folgenden Versen einsetzt, immer in der Versmitte, was einen ganz eigenen Klang schafft:
Wie es den / Wassern ent- / steigt, || aus- / breitet sich / Abendge- / wölk schon.
Ostwärts / fuhren sie / heut || mit dem / Fahrzeug / gegen Al- / tino,
Wo in den / Schutt hin– / sank || eh– /mals die be- / völkerte / Seestadt.
Häufig er- / beuten sie / dort || Gold– / münzen und / prächtige / Steine,
Wenn sie das / Netz ein- / ziehn, || die be- / tagteren / Fischer er- / zählen’s:
Alle geschleiften Spondäen sind farbig gekennzeichnet; der Vers „Wo in den …“ hat sogar zwei davon! Wie heftig sie das Gefüge des Verses verändern, lässt sich vielleicht an zwei anderen Versen zeigen.
Blitzt, und das schimmernde Netz vom hangenden Meergras funkelt,
Hier hat Platen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die vorletzte Einheit nicht dreisilbig, sondern zweisilbig zu gestalten:
Blitzt, und das / schimmernde / Netz || vom / hangenden / Meergras / funkelt,
Der Vers ist sehr achtsam gebaut! Wenn die fünfte Einheit zweisilbig ist, ist meistens die vierte dreisilbig, was einen gunten Klang gibt; so macht es Platen hier auch. Und er lässt in der fünten Einheit nicht einfach eine unbetonte Silbe weg, sondern er ersetzt die beiden unbetonten, leichten Silben in antiker Denkweise durch ein „schwere“ Silbe, das eine starke Nebenbetonung tragende „-gras“! Das das „-gras“ aber in der Senkungs-Stelle steht, klingt der Vers dem „deutschen Ohr“ vollkommen unauffällig und vertraut. Jetzt aber dieser Vers:
Welcher gemalt hier steht in der Kirche, des Orts Wohltäter.
– Wieder ist die fünfte Einheit zweisilbig (und die vierte dreisilbig), aber diesmal hat Platen die Unregelmäßigkeit an dieser Stelle noch verstärkt durch einen „geschleiften Spondäus“!
Welcher ge- / malt hier / steht || in der / Kirche, des / Orts Wohl- / täter.
– Und das klngt dann doch schon ganz ordentlich schräg und ist eine Herausforderung im Vortrag?! Aber Platen hat eben sehr „antikisierend“ gedacht und gedichtet, und ich will keinesfalls sagen, die Verse klingen schlecht; sie haben durchaus ihre eigene Kraft und Schönheit. Nur wirken sie im ersten Hören eben fremd.
Der Schluss dieses ersten Teils gefällt mir ausnehmend gut:
Lange bemühten die starken gewaltigen Männer umsonst sich,
Triefend von Schweiß, und zuletzt ließ Jeglicher ab von der Arbeit.
Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,
Spannten, als wär’s zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann
Leicht an den Strand, ganz ohne Beschwerde, mit freundlichem Lächeln.
– Vielleicht auch, weil hier nur ein einziger „geschleifter Spondäus“ vorkommt, der nicht weiter auffällt, dem Text aber trotzdem eine schöne klangliche Abwechslung verschafft?!