Erzählverse: Der Hexameter (81)

August von Platens „Das Fischermädchen in Burano“ (2)

Hier nun der zweite und letzte Teil von Platens Hexameter-Text. Gar nicht mal so unwichtig finde ich, dass hier gleich von drei Seiten her erzählt wird: Die „eigentliche“ Erzählerin, der „bewanderte Greis“, der Freund. Sehr passend, eigentlich; dem Hexameter entsprechend.

 

Dieses erzählt der bewanderte Greis, dann häufig erzählt er
Weltliche Dinge zumal, und den Raub der venetischen Bräute,
Die nach Olivolo gingen zum fröhlichen Fest der Vermählung:
Jede der Jungfraun trug in dem zierlichen Kästchen den Mahlschatz,
Wie es die Sitte gebot. Ach, aber im Schilfe verborgen
Lauert ein Trupp Seeräuber; verwegene Täter der Untat
Stürzen sie plötzlich hervor und ergreifen die bebenden Mädchen,
Schleppen ins Fahrzeug alle, mit hurtigen Rudern entweichend.
Doch von Geschrei widerhallt schon rings das entsetzte Venedig:
Schon ein bewaffneter Haufe von Jünglingen stürmt in die Schiffe,
Ihnen der Doge voran. Bald holen sie ein die Verruchten,
Bald, nach männlichem Kampfe, zurück im verdienten Triumphzug
Führen sie heim in die jubelnde Stadt die geretteten Jungfraun.
Also berichtet der ehrliche Greis, und es lauscht der Geliebte,
Rüstig und schlank, wohl wert, auch Taten zu tun wie die Vorwelt.
Oft auch rudert hinüber ins nahe Torcello der Freund mich:
Ehmals war’s, so erzählt er, von wimmelnden Menschen bevölkert,
Wo sich in Einsamkeit jetzt salzige Wasserkanäle
Hinziehn, alle verschlammt, durch Felder und üppige Reben.
Aber er zeigt mir den Dom und des Attila steinernen Sessel
Auf dem verödeten Platz mit dem alten zertrümmerten Rathaus,
Wo der geflügelte Löwe von Stein aus sonstigen Tagen
Ragt, als diese Lagunen beherrschte der heilige Markus:
All dies sagt mir der Freund, wie’s ihm sein Vater gesagt hat.
Rudert er heimwärts mich, dann singt er ein heimisches Lied mir,
Bald »Holdseliges Röschen« und bald »In der Gondel die Blonde«.
Also vergeht, uns Allen zur Freude, der herrliche Festtag.

Strickt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll’s der Geliebte
Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehrt.

 

Die „geschleiften Spondäen“, die im ersten Teil so gehäuft auftraten, finden sich hier auch, aber in weit geringerem Maße und besser verteilt („Trupp Seeräuber“, „Bald holdseliges“; und damit weit weniger wirkmächtig. Da lohnt es eher, einen Blick auf das Versende zu werfen. Die immer gleiche Schlussformel des Hexameters, sein „X x x / X x“, sollte deutlich und klar herausgestellt sein; im besonderen die letzte Silbe sollte nicht zu schwach und unbedeutend sein, also möglichst nicht ein „schwaches e“ aufweisen, und so selten wie irgend möglich ein „-en“!

Solche Endungen hat Platen auch, „verborgen“, „Verruchten“, „Reben“, „Tagen“; aber er ist ein viel zu guter Hexametrist, als dass er deren Zahl überhand nehmen ließe.  Stattdessen sind seine Endungen sehr abwechslungsreich, häufig stellt er auch einsilbige Wörter an den Vers-Schluss; und er bedient sich sehr kräftiger Nebenhebungen, um dem Ende des Verses Fülle und Klang zu verleihen:

Mahlschatz, Untat, Triumphzug, Jungfraun, Vorwelt, Rathaus, Festtag, heimkehrt:

Diese Wörter stehen sicher nicht zufällig dort, wo sie stehen! Man muss den Hexameter nicht wie Platen behandeln; aber versuchen, zu verstehen, wie er ihn behandelt hat – das ist eine sehr lohnende Beschäftigung, aus der man viel für die eigenen Verse mitnehmen kann!

Rüstig und / schlank, wohl / wert, || auch / Taten zu / tun wie die / Vorwelt.

Das, zum Beispiel: ist ein kräftiger, wohlklingender, rundum gelungener Vers. (Und Taten tun darf man; da hat nur die Schule etwas gegen …) Aber damit  er gelingt, ist ein wenig Erfahrung nötig, und: Nachdenken?!

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