Bert Nagel: Das Reimproblem in der deutschen Dichtung. Vom Otfriedvers zum freien Vers.
Nagels Einleitung leistet, was eine gute Einleitung leisten muss: Sie klärt den Leser über das auf, was er im Buch zu erwarten hat. Und hält sich das „Reimproblem“ des Titels noch halbwegs frei von Wertungen, bezieht die Einleitung deutlicher Stellung: Von dem „Ärgernis des Reims“ ist dort die Rede, und noch schärfer: „Der Reim ist der Feind sprachgerechten dichterischen Ausdrucks“. Und ähnlich noch viele Male.
Damit ist das Ziel des Buches schon deutlich gemacht. Anderes schimmert durch, wenn es heißt „Geschmackserziehung sieht sich hier an eine schwer überschreitbare Grenze geführt.“ Oder: „Worum es hier geht, ist Sprachverdichtung statt Sprachverschwendung, nicht Manipulation, sondern Ernstnehmen der Sprache und damit Umerziehung zu einem neuen, sprachgerechten, sprachbewussten Hören.“
Wenn man als Leser nun die Art im Hinterkopf behält, wie alle Inhalte des Buches so ausgewählt wurden und eingesetzt werden, dass sie möglichst überzeugend erweisen, was von vorneherein als richtig vorausgesetzt wird; und wenn es ihm nichts ausmacht, von einem gelegentlichen „Umerziehungsversuch“ (schon erstaunlich: man kann im gleichen Satz „Sprachbewusstsein“ verwenden und den eher fragwürdigen Ausdruck „Umerziehung“!) angerempelt zu werden; kann er diesen Band durchaus mit Gewinn zur Hand nehmen, und sei es auch nur, um zu erfahren, was denn Dichter wie Benn, Brecht, Rühmkorf, Domin und Krolow zum Reim (auch) gedacht und gesagt haben.
Erschienen ist der Band 1985 im Erich Schmidt Verlag, also vor fast 30 Jahren; aber die „Reimfrage“ stellt sich ja eigentlich immer wieder neu und muss auch immer wieder neu beantwortet werden; so gesehen also auf keinen Fall ein „altes“ Buch!
(Ein anderer Band ähnliches Inhalts wurde vom Verserzähler schon vorgstellt: Der Kampf um den Reim.)