Erzählformen: Das Madrigal (14)

Johann Nikolaus Götz ist ein Dichter, der der näheren Betrachtung wert ist. Unbedingt! Auch wenn er gern, wie hier, nur Versatzstücke aus der Antike beziehungsweise der Schäferdichtung aneinanderreiht – darauf kommt es nicht an. Sondern darauf, wie sich seine Verse bewegen und ineinandergreifen, und überall Maß waltet und Wohlklang; und das macht Götz einfach wunderbar. Nicht umsonst hatten andere Dichter eine hohe Meinung von ihm, zeitgenössische wie spätere!

 

Die Macht der Liebe

Mich wiegete das Flüstern reger Bäume
Und mein geliebter Bach in einem Erlenhain
In sanften Schlaf und sanfte Träume
Bei spätem Abend ein.
Ein Waldsirenenchor durch tausend süße Lieder
Erweckte mich am Morgen wieder.
Aurora ging geschmückt hervor
Aus ihrem Rosentor,
Gleich einer Braut an ihrem Feste.
Der Flora leichte Hand, der Hauch der linden Weste
Bestreuete die Flur, erfüllete die Luft
Mit Purpur und mit Balsamduft.
Ismene kam: nun hatt‘ ich für Auroren,
Für Zephyrn und für Floren
Kein Auge mehr, und für der Vögel Chor
Und meinen Bach kein Ohr.

 

„Aus nichts etwas machen“ nennt man das wohl; aber auch dieses Auffächern, dieses Darreichen will gelernt und gekonnt sein!

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