Zu Weihnachten läuft man Gefahr, dem ein oder anderen Beschenkungsversuch nicht ausweichen zu können. So ging es auch mir, und daher habe ich mir eben ein Audiobuch angehört, „made by WDR“: Robert Gernhardt spricht. Fertig ist das Sackgedicht heißt es.
Man kann 72 Minuten schlechter verbringen. Etwas störend ist, dass Gernhardt zwar viele Gedichte geschrieben hat, aber auf Lesungen nur wenige davon vorträgt, weswegen man manches schon einige Male gehört hat.
Erst recht gilt das für sein allgegenwärtiges Sonett „Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs“. Immerhin sagte er bei dieser Gelegenheit – die Lesung fand 1998 in Bonn statt – gleichsam im Vorbeigehen einen kleinen Satz, der mich aufhorchen ließ:
Man kann Sonette nicht richtig hören.
Und wenn Gernhardt dann liest, weiß man, was er meint: er ordnet den Vers fast vollständig dem Satz unter im Vortrag, die Reimwörter werden nicht herausgehoben, Gleichklänge scheinen damit fast zufällig da zu sein. Das kann man so machen, und es ist sicher auch wirkungsvoll; aber ist es eine Wesenseigenschaft von Sonetten?!
Wer mag, kann Gernhards Vortrag zum Beispiel auf Youtube lauschen (bei einer anderen, früheren Lesung):
Das kann man sich alles anhören, das Sonett trägt er aber ab 3:10 vor.
Danach lohnt sich vielleicht noch ein Besuch bei lyrikline.org:
– Denn da steht zum einen der Text, also das Sonett (auch) als „Bild“; und zum anderen ist Gernhardt in der dort vernehmbaren Lesung nicht ganz so streng dem Vers gegenüber – den Übergang vom ersten ins zweite Quartett kennzeichnet er sehr deutlich, obwohl das vielleicht auch einfach nur ein Hakler ist; jedenfalls fällt im Vergleich auf, wieviel deutlicher auch das Reimwort zum Tragen kommt!
Der Übergang aus den Quartetten in die Terzette, seit altersher ein Haltepunkt, ist aber so deutlich „nicht-haltend“ angelegt, dass deine Pause eigentlich unmöglich ist; trotzdem unterscheiden sich die beiden Lesungen auch da.
Na ja. Insgesamt kann man Sonette schon „richtig hören“, denke ich; wenn sie der Verfasser darauf anlegt und der Vortragende dann hörbar machen will. Und Zuhörer, die vertraut sind mit dem Sonettbau, sind bestimmt nicht von Nachteil dabei …