In (12) war vom „Auftauchen unter den Göttlichen“ die Rede; so auch hier. In Johann Wolfgang Goethes siebter römischer Elegie verschlägt es den Dichter selbst unter die Unsterblichen:
O wie fühl ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte,
Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag,
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne.
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum ich? Empfänget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?
Ach, hier lieg ich und strecke nach deinen Knieen die Hände
Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich!
Wie ich hereingekommen, ich kanns nicht sagen: es fasste
Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran.
Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
Irrte die Schöne? Vergib! Lass mir des Irrtums Gewinn!
Deine Tochter Fortuna, sie auch! die herrlichsten Gaben
Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.
Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den Gastfreund
Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!
„Dichter! Wohin versteigest du dich?“ – Vergib mir: der hohe
Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.
Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später
Cestius Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.
– Da stecken nun sicher eine Menge an antiken Anspielungen drin und auch an solchen, die „Goethes Rom“ betreffen („Cestius Mal“, die Pyramide des Cesius, in deren Nähe der protestantische Friedhof Roms lag). Aber die muss man eigentlich gar nicht kennen; spannend ist vor allem zu sehen, wie Gothe den Inhalt durch die Verspaare führt. Mal einen Satz auf mehrere Distichen verteilt, mal zwei Sätze in einem Distichon, mal einen Satz, einen Gedanken genau in ein Verspaar gegossen. Auch die Zeilensprünge lassen aufhorchen! Und wie immer eigentlich bei Goethe: Nie schließt ein Gedanke im Hexameter, und im Pentamter beginnt ein neuer; sondern die Einheit des Distichons bleibt immer gewahrt.
Alles zusammen sorgt dann für ein sehr abwechslungreiches, doch nie ungeordnet wirkendes Spiel mit Form und Inhalt, das den Leser bis zum letzten Vers „an der Leine behält!“