Das Distichon, genauer: das elegische Distichon ist ein seit 2700 Jahren bekanntes Verspaar, das schon in der Antike weitverbreitet war. In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gelangte die deutsche Entsprechung des antiken Distichons in die deutsche Dichtung und wurde von Schiller, Goethe und Hölderlin in einigen ihrer besten Werke genutzt; spätere Meister der Form waren unter anderem Mörike und Hebbel. Aber auch zahllose andere gute Dichter haben das Distichon benutzt; und noch viel mehr weniger gute.
Gereihte Verspaare dieser Art kamen in antiker Tradition in der Elegie, der Idylle und dem Lehrgedicht zum Einsatz; das einzelne Distichon wurde vor allem als Epigramm genutzt. In dieser Form findet es sich im „Verserzähler“ aber nur unter meinen eigenen Texten; hier sollen dagegen kürzere Erzähltexte vorgestellt werden, die in Distichen geschrieben wurden!
Formal gesehen besteht ein deutsches Distichon aus einem Hexameter (erster Vers) und einem Pentameter (zweiter Vers). Das Schema der betonten und unbetonten Silben sieht so aus:
X x (x) / X x (x) / X x (x) / X x (x) / X x x / X x
X x (x) / X x (x) / X || X x x / X x x / X
Dabei ist: X = betonte Silbe; x = unbetonte Silbe; (x) = Diese Silbe kann, muss aber nicht stehen; || = Vers-Einschnitt.
Beide Verse haben ihre Eigenarten und werden daher in folgenden einzeln vorgestellt; eine kurze Betrachtung über ihr Zusammenwirken im Distichon schließt sich an.
Der Hexameter
Der Hexameter ist schon durch die vielen möglichen Anordnungen von Daktylen (X x x ) und Trochäen (X x) in den ersten vier Versfüßen ein rhythmisch sehr vielgestaltiger Vers. Dazu kommen noch die verschiedenen Zäsuren! Trotzdem bleibt der Vers immer als Hexameter erkennbar, wozu auch die typische Schlussformel „X x x / X x“ beiträgt.
Eine Zäsur (meint: einen Einschnitt in etwa in der Mitte des Verses) ist nötig, um den vergleichsweise langen Vers zu unterteilen und ihm so eine feste Gestalt zu geben. Andererseits sollte der Einschnitt aber auch nicht zu tief gehen, da sonst die Gefahr besteht, dass der Vers in zwei Teilverse zerfällt. Es gibt im wesentlichen vier Zäsuren. Alle liegen im entsprechenden Versfuß:
X x (x) / X x (x) / X || x || (x) / X || x || (x) / X x x / X x
Dazu kommt noch die seltenere „bukolische Diärese“, also der Einschnitt nach dem vierten Versfuß. Eigentlich sollte man den Einschnitt nach einem Versfuß vermeiden, weil so Metrum und Satzstruktur zusammenfallen und leicht ein „klappernder“ Eindruck entsteht; Der Schnitt nach dem vierten Fuß hat aber Vorteile, die dieses kompensieren: zum einen ermöglicht die sehr späte Zäsur eine Nebenzäsur im zweiten Versfuß, wodurch der Vers eher eine Dreigliederung erfährt, was zu Vielfalt beiträgt; zum anderen kann so der typische Hexameterschluss „X x x / X x“ besser hervorgehoben werden. Der Einschnitt nach dem dritten Fuß dagegen ist unbedingt zu vermeiden!
Nebenzäsuren sind häufig. Insgesamt ist der Hexameter ein daktylischer Vers, daher sollte man von der theoretisch vorhandenen Möglichkeit, die ersten vier Füße komplett mit Trochäen zu füllen, nur sehr vorsichtig Gebrauch machen.
Soviel in aller Kürze zum Hexameter. In der Kategorie „Der Hexameter“ gibt es aber weitere Angaben zu diesem Vers, und vor allem viele Beispiele!
Der Pentameter
Der Pentameter kommt nur als Begleiter des Hexameters im Distichon vor. Seine rhythmische Vielfalt ist durch den festen Einschnitt in der Versmitte, wo zwei betonte Silben unmittelbar aufeinander folgen, und die festgelegte zweite Vershälfte nicht so groß wie die des Hexameters. Auch hier gilt: Selten wird der Vers mit zwei Trochäen begonnen, da sonst der daktylische Grundrhythmus verloren geht.
Das Distichon
Im Distichon wird der fließende, vielfältig variierbare Rhythmus des Hexameters im Pentameter gebremst und abgeschlossen. Dadurch entsteht ein wohlbestimmter, klar erkenn- und erhörbarer Raum, der sich sehr gut für Epigramme eignet, aber auch in Erzähltexten genutzt werden kann und dort dann weniger eilend und voranstürmend wirkt als ein rein in Hexametern geschriebener Text.
Als Abschluss dieses ersten Beitrags soll aber doch ein einzelnes Distichon genügen, das dafür gründlich „zerlegt“ wird! Es stammt von Friedrich Hebbel:
Dichterlos
Lass dich tadeln fürs Gute, und lass dich loben fürs Schlechte;
Fällt dir eines zu schwer, schlage die Leier entzwei.
Im Silbenbild sieht das so aus:
X x / X x x / X x || x / X x / X x x / X x
X x / X x x / X || X x x / X x x / X
Lass dich / tadeln fürs / Gute, || und / lass dich / loben fürs / Schlechte;
Fällt dir / eines zu / schwer, || schlage die / Leier ent- / zwei.
– Mit klar erkennbaren Einschnitten in der Mitte der Verse, und mit einer eindeutigen Aufteilung in betonte und unbetonte Silben?! Aber auch inhaltlich sicher bedenkenswert für alle Schreibenden!