Paul de Lagarde war ein streitbarer und umstrittener Mensch, von durchaus fragwürdigen Ansichten; als Lieblingsschüler Friedrich Rückerts war er „von Haus aus“ Orientalist. Seine folgenden Verse sind „Essener“ überschrieben, eine auf ihre eigen Art umstrittene Gruppe innerhalb des antiken Judentums; und eine eigenartige, fremde Stimmung liegt dann auch über de Lagardes Versen, die nicht ohne Reiz sind!
Ein Meer von Sonnenglut der rote Sand:
Das Licht so licht, dass es als Schleier sich
Um Palmen, Felsen, Berge, Himmel windet:
Kein lebend‘ Wesen in dem Feuerdunst,
Kein Vogel drüber, keines Lüftchens Hauch:
Geschmolznes Erz der ganze weite Raum.
Wie muss es aussehn in der Gotteswelt,
Wenn dorthinein sich Menschenherzen wagen,
Nur um von ihren Brüdern frei zu sein.
Von Hellas‘ Tempeln und aus Roms Palästen,
Aus Seleucias stolzen Kuppelbauten
Und von des Nils gesegneten Gefilden
Flieht alles Beste in der Wüste Schutz,
Die gar nichts bietet, was das Herz erfreut,
Die nur nichts hegt, was Herzen wehe tut.
Und wenn des heißen Tages warme Asche
Als Nacht sich um den glühenden Boden legt,
Dann wird am Quell, der wen’ge Schritte weit
Einsame Palmen und Mimosen tränkt,
Der Menschen Stimme wach: Ein heil’ger Chor
Dankt für die Einsamkeit dem guten Gott,
Der seine Blumen, seine Freuden alle
Den Schlechten schuf, doch seinen Kinder hier
Ein ruhig‘ Plätzchen ließ, ihm treu zu sein.
Hyänen und Schakale schweigen still,
Wann ihre Gäste den fernen Vater loben.
Endloser Zug zielsichrer Wandervögel
Kreist lichtbeschwingt der Sterne stille Schar,
Und Nacht für Nacht blickt hinter sie das Herz
Der Flüchtlinge, die nach der Heimat suchen.
Wer zählt die Tage, wer die Nächte hier?
Sie flohen die Zeit und wollten ewig leben
Und wissen schon nicht mehr, was Sterben heißt:
Sie löschen aus wie Vogellied im Wald.
Und wenn der Abend eine Leiche sah
Von welken Händen in den Sand verscharren,
So stehn am Morgen neue Brüder schon,
Den leeren Platz zu füllen, vor der Zelle.