Erzählverse: Der Blankvers (62)

Immer mal wieder liest man einen Text, in dem ein Witz „verreimt“ wird. Das endet so gut wie immer im Elend – ein Gedicht ist etwas ganz anderes als ein Witz, und Reime machen aus einem guten Witz kein gutes Gedicht, sondern einfach nur einen schlechteren Witz (weil die unbarmherzige Kürze aufgegeben wird zugunsten eines Gleichklanggeklingels, das diesem Grundgedanken des Witzes völlig zuwiderläuft).

„Einfach so“ lässt sich eigentlich gar nichts in Verse fassen?! „Der Engel des Todes“ von Sophie Mereau-Brentano liest sich so:

 

An Salomon dem großen Weisen ging
Der ernste Todesengel sichtbarlich
Vorüber einst, und richtete den Blick
Auf einen Mann, der nahe bei ihm stand.
Wer ist der, fragte dieser Salomo,
Der Engel mit dem furchtbar ernsten Blick?
Der Todesengel, sagte Salomo.
Es scheinet mir, versetzte jener, dass
Er mein bedarf; o, so befiehl drum schnell
Dem Winde, dass er weit aus seinem Blick
Nach Indien mich bringe. Es geschah.
– Und drauf zu Salomo der Engel spricht:
Verwundert sah ich ernst auf diesen Mann,
Denn seine Seel‘ in Indien von ihm
Zu nehmen, war befohlen mir, und hier
In Palästina traf ich ihn bei dir.

 

Hm. Wenn das gutgegangen ist, wenn die alte Geschichte hier wirklich Gedicht geworden ist: dann gerade eben so.

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