Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (8)

Carl Spittelers „Das Orakel“ erzählt so schnörkellos, wie man es von Spitteler gewohnt ist, und wirkt dabei doch unzweifelhaft „versisch“. Das liegt sicher auch an den vielen, teils (aufgrund nachfolgenden Vokals) verkürzten einsilbigen Versformen am Versbeginn, die den Satzbau verbiegen? Derlei kennt man eher aus den – kürzeren – vierhebigen Trochäen; hier tut es auch im längeren Vers seinen Dienst …

 

Saß am Goldfischweiher das Prinzesschen,
Schaut‘ ihr lachend Ebenbild im Spiegel,
Warf ein Ringlein in den Teich und summte:
„Holla! Wasserspiegel, Zauberspiegel,
Tu ein Zeichen, deute mir die Zukunft.“

Sieh da, aus dem blauen Wasserhimmel
Taucht‘ ein Rosenwölklein auf zur Linken;
Doch von rechts her kam ein schwarz Gewitter,
Wuchs und schwoll und fraß das Rosenwölklein.
Auf die Füße sprang das kleine Fräulein,
Rührt‘ ein Stöckchen zornig durch das Wasser,
Das den Spiegel heftige Wellen trübten,
Hüpft‘ alsdann und tanzte durch den Garten:
„Ist doch alles Trug und Teufelsblendwerk!
Ich bin jung und schön, das ist die Wahrheit.“

 

– Wobei diese Verbformen am Versanfang im zweiten Teil viel geringere Auswirkungen haben?! Sonst ist noch das „Sieh da“ bedenkenswert, weil es (nur) auf der ersten Silbe betont falsch klingt; und die einzige doppelt besetzte Senkung an passender Stelle, „heftige“.

Der Schlussvers ist … beachtlichen Inhalts.

 

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