Otto Ernst dürfte heutzutage den meisten, wenn überhaupt, als der Verfasser von „Nis Randers“ bekannt sein – Krachen und Heulen und berstende Nacht … Aber er hat selbstredend eine Menge mehr geschrieben, und vieles nichterzählendes. „Mein Freund“ etwa:
Als ich jüngst im Garten wandelte,
Ward mir unverhoffte, tiefe Freude:
Aus dem tiefen Dunkel wirrer Zweige
Winkten mir zwei Blumen wie zwei Augen.
Näher trat ich, durchs Gebüsch mich zwängend –
Sieh, im düst’ren Schatten alter Bäume,
Fast erdrückt vom wuchernden Holunder,
Stand ein armer Strauch der Alpenrose.
Zwischen seinen krummen, mag’ren Ästen
Spann ihr feucht Gespinst die ewige Nacht;
Abgetrennt von Luft und Sommersonne
War er leidend Jahr um Jahr gewachsen;
Doch aus Leidensnächten hob er Blüten,
Starke, lächelnde, betränte Blüten,
Seines Ringens Ende, still empor.
Und dem Gärtner rief ich: „Diesem Strauche
Gib den besten Platz in meinem Garten.
Tu es bald – ich hab es ihm versprochen.“
Der trochäische Fünfheber ist nicht überall durchgehalten – drei Verse enden „männlich“, also mit einer betonten Silbe; gleich der erste zum Beispiel, wo die Betonung dann auch noch auf das „-te“ rutscht?! In der Mitte stehen vor der betonten Schluss-Silbe „Nacht“ zwei unbetonte Silben, „-wige“, wodurch es fast wirkt, als sei die unbetonte letzte Silbe des Fünfhebers in den Vers gewandert …
Aber auch das Ende des Gedichtes ist bedenkenswert. Als Ernst „Mein Freund“ zum ersten Mal veröffentlichte, schlossen sich an die obigen Verse noch diese vier an:
Alle Wohner meines Gartens lieb ich,
Halm und Bäume, Frucht- und Schattensträucher;
Doch mit diesem in des Abends Schweigen
Sprech’ ich Worte wie von Mensch zu Mensch.
In seinen später erschienenen „Gesammelten Werken“ hat Ernst diese vier Verse dann ersatzlos gestrichen. Was, wie mir scheint: eine kluge Entscheidung war. (Der frühere Text hat auch „den Gärtner“ statt „dem Gärtner“; ob die Änderung Absicht ist oder ein Fehler – wer weiß es …)