Jakob Michael Reinhold Lenz war gerade einmal 18 Jahre alt, als er 1769 seine 1500 Hexameter umfassenden „Landplagen“ schrieb; eine wüste Aneinanderreihung von Grausamkeiten und Schrecknissen, eine Szene immer noch schlimmer als die davor! Aus dem zweiten Buch, „Hungersnot“:
Und ich gucke durchs äußere Gitter. – Entsetzliches Schauspiel!
Würdig die Hölle zu zieren! Vom schröcklichsten Dunkel beschattet,
Schlachtet ein wütendes Weib ihr Kind. Umsonst fällt es nieder,
Dreimal nieder aufs Antlitz und flehet mit heißen Tränen
Mit erblasstem Gesicht und lautem Zittern und Schluchsen
Um sein jugendlich Leben; vergeblich schlingt es die Ärmchen
Um die stampfenden Füße der Mutter. Oft zwar empöret
Sich das Muttergefühl, es schwillt der abscheuliche Busen,
Der das unschuldige Opfer genährt, von erschütterndem Schmerze,
Und der ausgestreckete Arm weicht kraftlos zurücke;
Aber ihn lenket die Macht der Höll‘, er vollführt, er vollführet,
Er vollführet den schröcklichsten Streich. Sie schreit, sie mordet und knirschet,
Rauft ihr Haar mit der Linken, und tötet ihr Kind mit der Rechten.
Ja. Schröcklich fürwahr … Nun gibt es die Geschichte bei Lenz auch „andersrum“ – die Mutter versagt sich jedes Essen, um es ihren Kindern zu geben, und stirbt. Aber die Frage ist doch mehr: Wie erzählt man so was? So wie es Lenz getan hat, eher nicht; zumindest heute nicht mehr. Obwohl man dem Ganzen eine gewisse Wirkung nicht absprechen kann – die Probe darauf ist, wie immer, das laute Lesen! Bemerkenswert dabei die über das Versmaß verwirklichte stimmliche Steigerung beim dreimaligen „vollführt“:
Aber ihn / lenket die / Macht der / Höll‚, || er voll- / führt, er voll- / führet,
Er voll- / führet den / schröcklichsten / Streich. || Sie / schreit, sie mordet und / knirschet,
Bei der ersten Widerholung kommt eine unbetonte Silbe hinzu, bei der zweiten Wiederholung rutscht dann noch zusätzlich das „Er“ auf die Hebungsstelle, wird also betont, was, scheint mir auch das „voll-“ noch anhebt und einen eindrücklichen Gipfel auftürmt, von dem aus das Geschehen sich dann schwungvoll herabwerfen kann?!
Insgesamt sind Lenz‘ Hexameter schlecht – es macht keine wirkliche Freude, die „Landplagen“ zu lesen. Aber so hier und da, wie immer, wenn ein wirkungsvolles Maß und ein zumindest ansatzweise begabter Dichter zusammenkommen: gibt es doch feine Verse.