Mit Versen erzählen!? (2)

In welchem Ausmaß genau ist die Gattung Versepos vergessen?! – Vollständig, ganz und gar, ohne Rest und Überbleibsel!

Schon um 1800 hatten es die Epiker nicht leicht; das Epos galt als hervorragende Gattung, doch wie es zeitgerecht verwirklicht werden konnte, das war nicht so einfach zu sagen. Aber immerhin: Nach vielem Hin und Her und langem Nachdenken schrieb Goethe 1797 „Hermann und Dorothea“, und ließ sich dieses Werk von seinem Verleger sehr gut bezahlen; und nicht ohne Grund, das epische Hexameter-Gedicht wurde ein großer Erfolg.

Hundert Jahre später, um 1900, schrieb Carl Spitteler seinen „Olympischen Frühling“, und auch dieses Versepos war ein gewisser Erfolg (und einer der Gründe für Spittelers Literatur-Nobelpreis 1919); aber kurz zuvor, 1898, hatte er in einem Essay beschrieben, was geschähe, gäbe jemand ein Epos zwecks Veröffentlichung an einen Verlag:

Zunächst würde man sich unter der Hand in schonender Weise nach den Gesundheitsverhältnissen des Verfassers erkundigen. Ob ihn die Heimatbehörde frei herumlaufen lasse, ob er etwa erblich belastet wäre und dergleichen. Lauten wider Erwarten die ärztlichen Zeugnisse günstig, so heißt es: „Gottlob, es ist nur ein vorübergehender Anfall. Demnach können wir immer noch hoffen, dass er uns das nächste Mal wieder etwas Vernünftiges, Menschenmögliches schreibe.“ Und damit wandert das Werk in den Papierkorb, ungelesen und ungeprüft.

Das klingt schon nicht mehr so berauschend … Und wieder 100 Jahre später, also heute, hat sich bestenfalls am Grad der Ablehnung etwas geändert: sie ist noch größer geworden. Wer also heute ein Versepos wagt, sollte eine wirklich gute Geschichte zu erzählen haben; mit Widerständen ist zu rechnen!

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