Die „Deutsche Literaturgeschichte für Lehrer“ von Hilmar Grundmann (Heinz 2001) ist ein angenehm zu lesendes Buch, nicht zuletzt, weil es auch … eher unbekannte Einzelheiten enthält! So erfährt man anlässlich Goethes „Hermann und Dorothea“:
„Diese ganz im epischen Stile Homers geschriebene Erzählung wurde von den Zeitgenossen Goethes eher kritisch aufgenommen. Das lag daran, dass die damaligen Leser in diesem Werk eher eine Nachahmung jener kleinen epischen Dichtung sahen, die Luise von Voss im Jahre 1795 herausgebracht hatte und die in der Tat einige Idyllen enthielt, die sich in ‚Hermann und Dorothea‘ wiederfinden.“ (S. 171)
Hm. „Luise von Voss“?! Die gab es wirklich, aber ich denke, hier ist eher die „Luise“ gemeint, das „ländliche Gedicht in drei Idyllen“ von Johann Heinrich Voss. Und die war Goethes Zeitgenossen in der Tat lieb und wert. Was heutzutage nicht mehr ganz einleuchtet:
Als nun rings im Gesang die kristallenen Klänge melodisch
Klingelten, plötzlich erscholl mit schmetterndem Hall vor dem Fenster
Geig‘ und Horn und Trompete zugleich und polternder Brummbass,
Eine Sonat‘ abrauschend, im Sturz unbändigen, scharfen,
Jähen Getöns, als kracht‘ einschlagender Donner aus blauem
Himmel herab, als braust‘ in den splitternden Wald ein Orkan her;
Denn an dem Hoftor hatten die Musiker leise gestimmet,
Dass unversehns aufgellte zum Gruß ein beherztes Allegro,
Eingeübt, wie freier Erguss tonreicher Empfindung.
So wie der Tön‘ Aufruhr sich empörete, klirrten die Fenster
Ringsum, dröhnte die Stub‘ und summt‘ im Klaviere der Nachklang.
Jen‘ um den Tisch frohlockten vor Lust, und alle noch einmal
Klingten sie: Hoch, hoch lebe der Bräutigam! Lebe die Braut hoch!
– Aus der letzten der drei Idyllen, und es lässt sich nicht leugnen: Das bleibt (im Gegensatz zu „Hermann und Dorothea“!) besser ungelesen. Außer selbstverständlich, man beschäftigt sich tiefergehend mit dem Hexameter; dann kommt man an einer längeren Dichtung in diesem Maß, geschrieben von einem, der auf die Ausbildung des deutschen Hexameters größten Einfluss hatte, nicht vorbei. Auch wegen der rhythmischen Schönheit und Kraft, die unter all dem inhaltlichen Geschwurbel immer zu vernehmen ist:
Aber es freute sich Karl des schreienden Wassergeflügels
Über dem Holm, und des Hechts, der beglänzt vom Abend emporsprang,
Und wie die Möw‘ hochher auf den Fisch abstürzete rauschend.