Gedichte in Reimpaaren stehen, zu Recht oder zu Unrecht, in dem Ruf, eher einfach gestrickt zu sein. Gottfried August Bürger konnte, wenn er wollte, auch anders; meist wollte er aber nicht und gab seinen Gedichten bewusst einen volksnahen Ton. Die folgenden Strophen sind der Anfang von „Männerkeuschheit“ – was für ein Titel, auch!
Wer nie in schnöder Wollust Schoß
Die Fülle der Gesundheit goss,
Dem steht ein stolzes Wort wohl an,
Das Heldenwort: Ich bin ein Mann!
Denn er gedeiht und sprosst empor
Wie auf der Wies‘ ein schlankes Rohr;
Und lebt und webt, der Gottheit voll,
An Kraft und Schönheit ein Apoll.
Wie gesagt: Da kannte Bürger nichts. Und unter den 17(!) Strophen seines Gedichts sind einige, die es noch toller treiben:
Sein Auge funkelt dunkelhell
Wie ein kristallner Schattenquell.
Sein Antlitz strahlt wie Morgenrot;
Auf Nas‘ und Stirn herrscht Machtgebot.
An der Bedeutung des letzten Verses werde ich noch lange rätseln … Aber auf seine ganz eigene Art macht das Gedicht doch auch Freude; weil Bürger eben ein echter Dichter war und selbst solche wunderlichen Inhalte überzeugend darstellen konnte!