Robert Gernhardt: Gedanken zum Gedicht
Eines von jenen Büchern, die man bedenkenlos jedem zum Geburstag schenken kann, der sich auch nur ein wenig für Lyrik interessiert – man weiß halt, dass Gernhardt, wie man es von ihm gewohnt ist, Wissenswertes auf unterhaltende Weise vermitteln wird: Eben ein schmales Bändchen, an dem eigentlich jeder Lyrikinteressierte Gefallen finden müsste. Das Material ist teils für diesen Band geschrieben, teils schon vorher an verschiedenen Orten erschienen. Dabei handelt es sich um:
Thesen zum Thema.
Als da wären:
1. Das Image der Lyrik, 2. Die Verbreitungsformen der Lyrik,
3. Die Inhalte der Lyrik, 4. Die Qualität der Lyrik.
Herr Gernhardt, warum schreiben sie Gedichte? Das ist eine lange Geschichte.
Diese Kapitelüberschrift erklärt sich selbst – Gernhardt schildert hier sowohl sein „Warum überhaupt“ als auch sein „Warum so“.
Dreierpack: Interpretationen.
Drei nicht allzu lange, aber ordentliche Interpretationen eines Goethe-Gedichts, eines der Kriminal-Sonette von Rubiner / Eisenlohr / Hahn und eines eigenen Gedichts.
Darf man Dichter verbessern? Eine Annährung in drei Schritten.
Sehr interessantes Thema! Mit ein Höhepunkt sicher die Schilderung, wie Berthold Brecht die Gedichte eines Lyrik-Bandes von Ingeborg Bachmann „verbessert“ …
Golden Oldies oder Wo zum Teufel bleiben eigentlich die Lyrik-Hämmer der Saison?
Für mich der beste Teil des Buches. Es geht, wie die Überschrift schon vermuten lässt, um die Frage nach der nicht mehr vorhandenen „Breitenwirkung“ heutiger Lyrik; dazu gehört ein sehr spannender Vergleich einer früheren Gedichtsammlung – der „Menschheitsdämmerung“, 1919 von Karl Pinthus herausgegeben – und einer beim Erscheinen des Buches aktuellen Sammlung – dem „Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1988/89“. Gernhardt entwickelt seine Gedanken hier an sehr vielen schon an sich interessanten Beispielen, so dass auch Stoff zum Weiterdenken geliefert wird!
Soviel zum Inhalt. Ich möchte den Band auf jeden Fall empfehlen – selbst ganz hartgesottene Lyrikspezialisten sollten hier, wenn sie auch inhaltlich vielleicht nichts wirklich neues vorgesetzt bekommen, durch die Gernhardtsche Aufbereitung der Themen einen gewissen Lesespaß haben. Erschienen ist der Band 1990 bei Haffmans (meine Ausgabe) und dann nochmal 2002 bei Heyne (ob da inhaltliche Änderungen drin sind, weiß ich gerade nicht). Heute wird er nur noch gebraucht zu bekommen sein, aber wer die Gelegenheit hat …