Ich habe den Abend damit verbracht, in Stefan Zweigs „Der Kampf mit dem Dämon“ zu lesen. Zu Friedrich Hölderlins Gedichten sagt Zweig unter anderem:
Diese Entwicklung zur Freiheit, dieses Sich-Losreißen, Sich-Selbstherrlichmachen des Rhythmus (auf Kosten der Bindung und geistigen Ordnung) geht im Hölderlinschen Gedichte ganz allmählich vor sich: zuerst hat er den Reim, die klirrende Fußkette von sich gestoßen, dann das über die breitatmende Brust zu enge Kleid der Strophe gesprengt; antikisch nackt lebt nun das Gedicht seine körperhafte Schönheit aus und eilt wie ein griechischer Läufer dem Unendlichen entgegen. Alle gebundenen Formen werden dem Inspirierten allmählich zu enge, alle Tiefen zu seicht, alle Worte zu dumpf, alle Rhythmen zu schwertönig – die ursprünglichste klassische Regelmäßigkeit des lyrischen Baues überwölbt sich und bricht, der Gedanke schwillt immer dunkler, mächtiger, gewitterhafter aus Bildern empor, immer tiefer und voller wird gleichzeitig das rhythmische Atemholen, großartig kühne Inversionen binden oft ganze Strophenreihen in einen Satz zusammen – aus den Gedichten werden Gesänge, hymnischer Anruf, prophetische Schau, heroisches Manifest.
Ja … Etwas weniger wortgewaltig gesagt: An Hölderlin führt, macht man sich Gedanken über die Art, wie sich Verse bewegen, kein Weg vorbei; und auch wenn es viele Gründe gibt, eine Hölderlin-Ausgabe im Schrank zu haben – seine wunderbare Bewegungs-Kunst ist darunter nicht der schlechteste.
Nochmal Zweig:
Die ersten Zeilen seiner Hymnen haben immer etwas vom Kurzen, Abrupten, Losschnellenden eines Abstoßes, das Verswort muß immer erst fort von der Prosa des Daseins, um sich einzuschwingen in sein Element. … Hat sich Hölderlin aber einmal in die Begeisterung abgestoßen, so flutet ihm der Rhythmus gleichsam wie feuriger Atem von der Lippe, wunderbar bindet sich in kunstvollen Verschränkungen die schwere Syntax, die blendendsten Inversionen kontrapunktieren sich mit einer strahlenden, einer zauberhaften Leichtigkeit: durchsichtig wie feinster Stoff, wie die gläserne Schwinge eines Insektes lässt das „wehende Lied“ durch seine klingenden, leuchtenden Flügel den Äther und sein unendliches Blau fühlen.