Wieder ein Einzelvers aus Friedrich Rückerts „Liedertagebüchern“, hier dem von 1846:
Groß ist, wenn sich beschränkt, wer unbeschränkt sich weiß.
So weit, so einleuchtend. Was für ein Vers ist das aber? Der Anfang liest sich sehr hexametrisch:
Groß ist, / wenn sich be- / schränkt, || …
— ◡ / — ◡ ◡ / — || …
Allerdings fehlt zu einem vollständigen Hexameter ja noch die zweite Vershälfte, und sieht eben nicht so aus (- als Beispiel! Rückert möge mir verzeihen), …
Groß ist, / wenn sich be- / schränkt, || wer als / unbe- / schränkt sich er- / kannt hat.
— ◡ / — ◡ ◡ / — || ◡ ◡ / — ◡ / — ◡ ◡ / — ◡
… sondern so:
wer un– / beschränkt / sich weiß.
◡ — / ◡ — / ◡ —
Und das ist eindeutig eine alternierende, weil iambische Bewegung! Das geht im Hexameter gar nicht, weswegen in Bezug auf die erste Vershälfte ein Umschwenken auf den Trimeter nötig wird:
Groß ist, / wenn sich / beschränkt, || wer un– / beschränkt / sich weiß.
◡ — / ◡ — / ◡ — || ◡ — / ◡ — / ◡ —
Aber das knirscht dann doch ziemlich im Gebälk … Auch die Zäsur sitzt nicht ganz so glücklich, da sie den Vers in zwei genau gleiche Hälften teilt! Aber Rückert hat den Vers tatsächlich als Trimeter gedacht, was aus dem Umstand ersichtlich wird, dass er sich bei ihm zwischen vielen anderen Trimetern findet.
Also ein wenn nicht schlechter, so doch schludriger Vers? Ich denke, ja. Andererseits steht er in einem Liedertagebuch, dessen Einträge nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren; und dann darf man das.