Im Nachwort des Bandes „Friedrich Gottlieb Klopstock. Ausgewählte Werke“, erschienen 1962 bei Hanser, schreibt Friedrich Georg Jünger bezüglich der Anfordernisse, die an eine Strophe gestellt werden, folgendes (Seite 1357):
Bei der Komposition der lyrischen Strophe bleibt vieles zu bedenken. Die Verse dürfen wegen ihrer Leidenschaftlichkeit nicht die Länge epischer Verse haben. Die Strophe darf, weil sie als Einheit sich dem Ohre mitzuteilen hat, nicht zu viele Verse haben. Die Verse dürfen in der Zahl der Silben, Takte, Kola nicht alle gleich oder gleichartig sein, denn die leidenschaftliche Bewegung verlangt den Abbruch längerer Verse gegen kürzere. Der einzelne Vers muss seine Selbstständigkeit dem Gesetz der Strophe unterordnen, denn erst durch diesen Gehorsam entsteht eine kompositorische Einheit der Strophe. Der Wuchs der Strophe zeigt sich darin, dass die Verse sich nicht gegeneinander absetzen, sondern, ihre Selbstständigkeit ohne Furcht aufgebend, sich umarmen und verschlingen.
Und das, so Jünger, gilt für die Nachahmung antiker Strophen ebenso wie für einheimische Strophen. Ich denke, da hat er sehr recht – und deswegen gehört doch einiges mehr dazu, zum Beispiel eine antike Oden-Strophe zu meistern, als bloßes Vollschreiben eines Betonungsmusters; und das Einschreiben in eine solche Form ist immer mit Nachdenken verbunden, mit dem Versuchen und Vergleichen und Verwerfen – von heute auf morgen lässt sich das jedenfalls kaum erreichen!
Ähnliches gilt auch, will man eigene Strophenformen erfinden. Vorbild ist da unbedingt Klopstock, und darum soll nun auch eine der von ihm ersonnenen Strophen hier den Abschluss bilden! Der Anfang von „Die frühen Gräber“:
Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt‘ der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.
Wunderbar. Wer mag, kann sich ja das Silbenbild erstellen; und sich überlegen, ob und wie die von Jünger genannten Strophen-Merkmale hier verwirklicht worden sind …