Erzählverse: Der Hexameter (4)

Friedrich Gottlieb Klopstocks „Messias“

Eine Reise zum Beginn des deutschen Hexameters also, denn vor Klopstock gab es eigentlich nur einige wenige zu Vorführungszwecken geschriebene Verse dieser Art. Dann aber geschah etwas wirklich Erstaunliches: Ein gerade mal Zwanzigjähriger fasst den Plan, ein riesiges Epos zu schreiben, und das in einem Vers, den zuvor niemand benutzt hat. Und er schreibt Tausende davon, und das Epos erscheint, und die literarische Welt ist verblüfft, hingerissen, angeekelt, auf jeden Fall bewegt; und danach ist nichts mehr in der deutschen Dichtersprache, wie es vorher war.

 

Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung

 

So lautet der erste Vers. Wer ermessen möchte, was Klopstock geleistet hat, kann ja mal Gedichte aus den 1730er Jahren vergleichen mit solchen von 1770; die Unterschiede sind einfach gewaltig, und angeschoben hat sie Klopstock.

Nach Klopstocks Tod lässt Johann Gottfried Herder Klopstock selbst in einem Nachruf sagen:

Was kümmerts mich, wofür ihr meinen Messias haltet? Was er wirken sollte, hat er gewirkt und wird es wirken; nächst Luthers Bibelübersetzung bleibt er euch das erste klassische Buch eurer Sprache.

Und da übertreibt Herder keineswegs … Was Klopstock aber nicht vor dem unschönen Schicksal bewahrte, schon zu Lebzeiten als veraltet in Vergessenheit zu geraten: Die von ihm angestoßenen Veränderungen hatten sich schnell verselbstständigt, und heute ist der „Messias“ eigentlich unlesbar. Ich füge aber trotzdem ein paar Verse an aus der Erstausgabe von 1748, einfach weil ich mal die Einschätzung eines Fachmann dazu vorstellen möchte, der Klopstocks Hexameter an diesem Beispiel beschreibt. Aus dem ersten Gesang:

 

Unterdes war der Seraph zur äußersten Grenze des Himmels
Aufwärts gestiegen. Hier füllen nur Sonnen den heiligen Umkreis.
Hell, gleich einem vom Lichte gewebten ätherischen Vorhang
Zieht sich ihr Glanz um den Himmel herum. Kein dunkler Planete
Naht sich des Himmels verderbendem Blick. Entfliehend und ferne
Geht die bewölkte Natur vorüber; die Erden fliehn mit ihr
Klein und unmerkbar dahin, wie unter dem Fuße des Wandrers
Niedriger Staub, von Gewürmen bewohnt, aufwallet und hinsinkt.

 

Friedrich Georg Jünger schreibt dazu in „Rhythmus und Sprache im deutschen Gedicht“ (1987 bei Klett-Cotta erschienen und ein empfehlenswertes Bändchen!) auf Seite 122:

Dieses Stück ist für die ersten Gesänge des Messias bezeichnend, wo der Hexameter eine jugendliche, leichtere Bewegung hat als in den späteren Gesängen. Wir merken den eilenden, daktylischen Gang des Hexameters, der die Trochäen nur mitnimmt. Die Bewegung ist derart, dass sie die ruhenden Eindrücke auflöst, den plastischen Satz entkörpert und gleichsam im Fliehen Licht streut. Satzende und Versende meiden sich. Die Vokalität ist leicht, der Vers hat keinen starken Umriss. Zwei der Verse sind ohne Zäsuren, wie das bei Klopstock häufiger vorkommt. Obwohl der schlechte Trochäus im letzten Vers in die Zäsur fällt, behält der Vers, als Nachahmung einer Bewegung, einen gewissen Reiz. Der Begriff des Erhabenen, den wir durch solche Verse erhalten, ist ein unendlicher, ewiger; er entstammt nicht der Anschauung von Körpern, sondern dem Gefühl für zeitlose, unermessliche Räume.

So wortgewaltig kann man also über metrische Fragen schreiben … Na ja, jeder möge das mit seinem eigenen Eindruck vergleichen; ich merke nur noch an, dass der letzte Vers für mich mehr als einen „gewissen Reiz“ hat:

Niedriger / Staub, von Ge- / würmen be- / wohnt, || auf- / wallet und / hinsinkt.

Eigentlich hat Klopstock mit dem „-wohnt auf-“ eine antike rhythmische Einheit nachgebildet, den „Spondeus“; sprich, die beiden Silben der Einheit sind nicht „betont, unbetont“, sondern eher „betont, betont“, wodurch man hier drei schwere Silben nacheinander spricht, was einfach wunderbar zum Inhalt passt. Bitte selbst versuchen! Dann kommt gleich noch mal etwas ähnliches mit dem „hinsinkt“, und der Vers hat dadurch unglaublich viel Kraft und Leben; jedenfalls in meinen Ohren.

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